Himmlische Juwelen
der Vergangenheit verstanden, nicht das
Musikwissenschaftliche.«
»Perfekt«, lächelte Caterina, »die Geschichten sind ohnedies viel
interessanter.«
Roseannas verwunderter Blick gemahnte Caterina, ihren Beruf mit
größerem Ernst zu behandeln. »Was hast du sonst noch erfahren?«
»Sein Besitz soll an eine vatikanische Organisation, die Congregatio
de Propaganda Fide, gegangen und in der Versenkung verschwunden sein, bis vor
ein paar Jahren bei [58] einer Bestandsaufnahme die beiden Truhen entdeckt
wurden. Den Cousins ist es dann irgendwie gelungen, sie loszueisen. Wie, weiß
ich auch nicht.«
Caterina spürte, dass sie so nicht weiterkam, und lenkte das
Gespräch wieder auf die Truhen: »Falls es sich bei den Papieren um
Handschriften handelt, hätten diese durchaus einen gewissen Wert.«
»Einen ›gewissen Wert‹? Was heißt das genau?«
»Kommt ganz darauf an, wie berühmt der Komponist ist und wie viele
Originale auf dem Markt sind. Steffani ist keine Berühmtheit mehr, man wird
wohl kaum ein Vermögen dafür bezahlen.« Und weil sie es nicht erwarten konnte,
endlich zur Sache zu kommen, setzte sie noch hinzu: »Hat Dottor Moretti dir
gesagt, wann die Cousins kommen und die Truhen eröffnet werden?«
»Mittags«, sagte Roseanna mit einem Blick auf die Uhr. Wie ein
ertapptes Schulmädchen und ganz und gar nicht wie die stellvertretende
Direktorin der Fondazione Musicale Italo-Tedesco fügte sie hinzu: »Wir sollten
lieber zurückgehen.«
[59] 6
Sie waren erst wenige Minuten in Roseannas Büro, als sie
die Haustür auf- und zugehen hörten. Schritte näherten sich, und Dottor Moretti
erschien in der Tür. Genau wie Caterina ihn in Erinnerung hatte: dunkelgrauer
Anzug mit hellgrauen Nadelstreifen, dunkelblaue Krawatte, die Streifen darin so
dezent, dass sie sich nur unter Folter offenbaren würden. Und im Spiegel seiner
Schuhe könnte er sich die Haare kämmen, nur dass ein Mann wie Dottor Moretti
sich niemals in der Öffentlichkeit kämmen würde. Nach einem Windstoß würde er
die Haare vielleicht diskret betupfen oder glattstreichen – aber einen Kamm
benutzen? Niemals.
Er war ein adretter Mann von mittlerer Statur, nur ein paar
Zentimeter größer als sie. Sein dichtes Haar, weder dunkel noch hell, war
kurzgeschnitten und graumeliert an den Schläfen. Die ovalen Gläser seiner
Goldrandbrille waren so makellos, dass Caterina sich fragte, ob er jeden Tag
eine neue aufsetzte. Seine Nase war schmal und gerade, seine Augen von sehr
blassem Blau, nicht die Augen eines typischen Italieners, aber die eines
typischen Venezianers durchaus. Sie bezweifelte jedoch, dass ihm jemals Dialekt
über die Lippen kam: Bei ihren wenigen Gesprächen hatte er sich einer so eleganten
Ausdrucksweise befleißigt, als spreche er von klein auf wie gedruckt. Seiner
Sprache war nicht zu entnehmen, woher genau er kam.
Ein grauer Wollmantel lag gefaltet über seinem Arm, in der anderen
Hand hielt er die Aktentasche, die ihr schon [60] früher aufgefallen war: weiches
braunes Leder mit zwei Messingschlössern, die aussahen, als würden sie
mindestens einmal die Woche blitzblank poliert. Caterina, die ein Faible für
Herrenkleidung und manchmal auch für die Männer hatte, die sie trugen, hätte
die Tasche gern besessen.
Dottor Moretti wirkte wie Anfang vierzig, aber die Fältchen um seine
Augen verrieten, dass er möglicherweise schon etwas älter war. Er schien nur zu
lächeln, wenn etwas ihn amüsierte; bei ihrem letzten Gespräch hatte Caterina
versucht, ihn zum Lächeln, vielleicht gar zum Lachen zu bringen. Sehr schnell
war sie dahintergekommen, dass er sehr empfänglich für eine gepflegte
Ausdrucksweise war; wie er zu Musik stand, wusste sie nicht.
»Signore«, begrüßte er die zwei Frauen mit
einer leichten Verbeugung, die bei jedem anderen Mann geziert gewirkt hätte.
Bei Dottor Moretti hingegen schien sie anzudeuten, dass er bereit war, ihnen
jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Doch da er Anwalt war, verwarf Caterina
diese Möglichkeit gleich wieder und schloss eher auf eine formvollendete Geste
jener überaus raren Gattung der wohlerzogenen Männer alter Schule.
»Dottore«, sagte sie, erhob sich und reichte ihm die Hand, »sehr
erfreut, sie wiederzusehen.«
»Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Dottoressa«, erwiderte er, um
sogleich Roseanna die Hand zu geben, die sich halb von ihrem Stuhl erhob und
nur »Buon giorno« sagte.
Dottor Moretti stellte seine Aktentasche ab. Roseanna wies
achselzuckend
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