Himmlische Juwelen
hatte. Ob es einem Anwalt zustand, so über seine Klienten zu sprechen?
Die Cousins mochten sich einen Mann in solch teurem Anzug leisten können,
seinen Respekt konnten sie nicht kaufen. Doch das war ihnen offenbar egal,
Hauptsache, sie fanden die am besten geeignete Person für die Suche nach dem
ominösen Schatz. Andererseits war sie [64] gemäß Roseanna die einzige Bewerberin
gewesen, was darauf schließen ließ, dass ihr Geiz über alles siegte. Was aber
bezweckte Moretti mit der abschätzigen Art, in der er von den beiden sprach?
Wollte er damit offen und ehrlich wirken, um sie anschließend nur desto besser
um den Finger zu wickeln?
»Ich sehe hier noch mehr Bedingungen.« Sie hielt das Blatt in die
Höhe: »Wieso steht hier, ich soll die Papiere in der Reihenfolge lesen, in der
ich sie vorfinde?«, fragte sie barsch. »Das ist eine Selbstverständlichkeit.«
Sie versuchte sich zu beruhigen. »Wie würde ein Wissenschaftler denn sonst
vorgehen?« Ihre äußerste Gereiztheit verriet viel darüber, wie sie die Cousins
einschätzte.
»Bedauerlicherweise«, erklärte Dottor Moretti mit ernster Miene,
»stammen diese Bestimmungen nicht von mir, Dottoressa. Sie in Frage zu stellen
obliegt mir nicht. Ich soll nur deren Befolgung gewährleisten.«
»Selbstverständlich halte ich mich daran«, sagte Caterina, »aber
diese Herren sollten nicht vergessen, dass sie mich für mein Fachwissen
bezahlen, und dazu gehört bereits der korrekte Umgang mit Dokumenten.« Da er
schwieg – weder hartnäckig noch geduldig, sondern unbeteiligt –, fuhr sie fort:
»Was etwaige Dokumente betrifft, so kann ich sie nur in etwa geschichtlich
einordnen. Mit der Musik der Zeit bin ich vertraut, aber um den exakten
historischen Kontext zu ermitteln, werde ich weitere Recherchen anstellen
müssen.« Da er immer noch schwieg, setzte sie hinzu: »Ich möchte dies als eine
meiner Bedingungen festgehalten wissen.«
» Eine Bedingung?«, fragte er.
[65] Sie hob das Papier und sagte: »Ich habe das noch nicht zu Ende
gelesen. Es könnten noch mehr werden.«
Roseanna schaltete sich ein: »Vielleicht hoffen sie, dass obendrauf
eine Mappe mit der Aufschrift liegt: ›Letzter Wille, mein Testament‹. Und
darunter der Einfachheit halber, von anderer Hand: ›Liste sämtlicher Wertsachen
und wo sie zu finden sind‹.« Falls das ein Scherz sein sollte, kam er bei
Dottor Moretti nicht gut an, wie seiner Miene zu entnehmen war.
»Sie haben mir gesagt, er habe kein Testament hinterlassen«,
erklärte Caterina. »Mir bleibt also nur die Hoffnung, etwas unter den Papieren
zu finden, das auf seinen Letzten Willen schließen lässt. Trotzdem müsste ich
natürlich auch dann noch alle übrigen Dokumente lesen, um sicherzustellen, dass
er seine Entscheidung nicht nachträglich widerrufen hat.«
Weder Überraschung noch Widerspruch kam von Seiten Dottor Morettis.
»Natürlich«, murmelte er und wies auf das Papier, als solle sie zuerst zu Ende
lesen.
»Und das hier«, sagte sie und klopfte mit dem Finger auf das Blatt.
»Dass ich keinerlei persönliche Informationen veröffentlichen darf, die in den
Truhen enthalten sein könnten, und dass ich weder öffentlich noch privat
darüber sprechen werde. Beziehungsweise erst dann, wenn ich die Zustimmung
beider Erben sowie von Ihnen erhalte.« Sie holte Luft und bemerkte ziemlich
ungehalten über dieses Katz-und-Maus-Spiel: »Ich nehme an, das gilt nicht für
meine Berichte?« Ihr Lächeln konnte falscher nicht sein.
Dottor Moretti hob kapitulierend beide Hände. »Ich habe die Regeln
nicht gemacht, Dottoressa. Ich übermittle sie nur.« [66] Mit knappem Lächeln
fügte er hinzu: »Wenn Sie weiterlesen, Dottoressa, werden Sie sehen, dass
dieses Verbot sich nicht auf Fachliches bezieht.«
»Das heißt?«, fragte sie.
»Das heißt, Sie haben das exklusive Recht, allfällige Partituren von
Orchester- oder Gesangswerken herauszugeben, die Sie für publikationswürdig
halten.« Er wies auf sein Blatt, und sie fand den Satz auf ihrem Doppel.
Mit betont gleichgültiger Miene las sie weiter, obwohl die Hoffnung
auf einen derartigen Fund sie darin bestärkt hatte, ihren Job in Manchester
hinzuwerfen: Hier bot sich ihr eine Möglichkeit, für die die meisten
Musikwissenschaftler ihren Erstgeborenen hergegeben hätten. Zwei Truhen, in
denen die Hinterlassenschaften eines zu seiner Zeit berühmten Barockkomponisten
lagerten. Opern mochten darin schlummern, Kammerduette, unveröffentlichte
Arien. Und sie wäre
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