Himmlische Juwelen
dachte sie: Wer würde denn auch ein Buch in eine
Bücherei hinein schmuggeln wollen?
Sie blieb stehen. Irgendwie waren sie wieder an der Eingangsseite
des Gebäudes angekommen: Vor ihnen erschien links die Fassade der Basilika.
»Was für ein groteskes Bauwerk das ist«, sagte sie. »Sieh doch nur: alle diese
Kuppeln und Bögen und Säulen, und alle verschieden. Wie kann man so was nur
bauen?«
»Wir sind in Italien, cara mia. Hier ist
alles möglich«, sagte er und überreichte ihr die Bücher.
[108] 11
An der Bar hinten im Florian verlangten sie zwei Spritz.
Der Barmann begrüßte Ezio, lächelte Caterina zu und stellte ihnen eine Schale
Cashews hin.
Caterina nahm eine Nuss und fragte: »Bekommen so was hier nur die
Stammgäste? Ich krieg höchstens hin und wieder Erdnüsse.«
Ezio trank einen Schluck und lachte. »Ich bin kein Stammgast. Wir
sind befreundet. Zusammen zur Schule gegangen, deshalb gibt er mir die immer.«
»Man profitiert ewig davon, oder?«, meinte sie.
»Wovon profitiert man ewig?«, fragte Ezio verwirrt.
»Davon, dass man hier geboren wurde«, erklärte sie. Dann etwas
sachlicher: »Heute Morgen habe ich in der Zeitung gelesen, dass wir
mittlerweile weniger als 59000 sind.«
Ezio zuckte die Achseln. »Ich wüsste nicht, was man dagegen tun
könnte. Die alten Leute sterben weg, die jungen finden auswärts Arbeit, hier
gibt es keine.« Er prostete ihr zu. »Du bist die Ausnahme. Dir hat man
angeboten, in deiner Heimatstadt zu arbeiten.« Bevor sie etwas sagen konnte,
fragte er: »Wohnst du bei deiner Familie?«
»Nein«, sagte sie. »Man hat mir eine Wohnung zur Verfügung
gestellt.«
»Wie bitte?«
»Ach, nichts Besonderes. In Castello, aber immerhin drei Zimmer und
im obersten Stock.«
»Flunkerst du?«, fragte er.
[109] »Nein, ich schwör’s. Ganz in der Nähe der Via Garibaldi, da habe
ich es nicht weit zur Arbeit.«
»Wie ist das möglich?«
Caterina hielt sich bedeckt und sagte nur, es handle sich um eine
Gästewohnung der Stiftung. In Wirklichkeit gehörte das Apartment Scapinelli,
der Caterina für die Dauer ihrer Arbeit dort wohnen ließ. Normalerweise wurde
es an Touristen vermietet, und entsprechend waren die Räume eingerichtet –
falls man überhaupt von »Einrichtung« sprechen konnte.
»Du bist ein Glückspilz«, sagte er. »Arbeit und Wohnung.«
»Beides zeitlich befristet«, erinnerte sie ihn.
Er nahm ein paar Cashews und fragte: »Hast du eine Vorstellung, für
wie lange?«
Sie schüttelte den Kopf. »Weiß der Himmel.« Sie streckte die Hand
nach den Büchern aus, die er auf den Tresen gelegt hatte. »Darf ich?«
»Ja, sicher, sicher«, sagte er und reichte sie ihr.
»Je mehr ich lese, desto früher werde ich fertig.«
»Und dann?«
Achselzuckend schob sie die Bücher in ihre Tasche. »Keine Ahnung.
Ich habe überall Bewerbungen hingeschickt: in vier Länder.«
»Wo denn alles?« Er wirkte interessiert und stellte sein Glas ab.
Sie zählte an den Fingern ab: »Hier in Italien, obwohl das
vielleicht keine so gute Idee ist. Reine Lehrtätigkeit, keine Zeit für
Forschung.« Da er offenbar wirklich interessiert war, fuhr sie fort:
»Deutschland, Österreich und die Vereinigten Staaten.«
[110] »Da würdest du hingehen?«, fragte er verblüfft.
Mit einem Wink verscheuchte sie alle Zweifel. »Wenn der Job
interessant ist, jederzeit.«
»Na, desto besser«, sagte er. »Dass du die Sprache beherrschst, ist
schon ein Vorteil, oder?«
Wäre das von jemand anderem gekommen, hätte Caterina vielleicht
Kritik herausgehört, aber bei Ezio war es ehrliche Bewunderung.
Ihr lag schon auf der Zunge zu sagen, sie beherrsche mehr als eine
Sprache, aber das hätte sich nach Angeberei angehört. Also nickte sie nur.
Er trank aus. Von den Cashews war noch die Hälfte übrig, doch die
ließen sie stehen. Caterina leerte ebenfalls ihr Glas, legte einen
Zehn-Euro-Schein auf den Tresen und machte dem Barmann ein Zeichen.
Der schüttelte den Kopf und blieb, wo er war.
»Lass mich bezahlen, bitte«, sagte sie zu Ezio. »Das ist das
mindeste.«
»Nein«, sagte er und zückte seine Brieftasche. »Das würde an
Bestechung grenzen, und du weißt, dass so etwas bei uns absolut undenkbar ist.«
Voll Vergnügen erinnerte Caterina sich, wie sie sich alle früher über Ezios
Späße amüsiert hatten. »Ich hätte keine ruhige Minute mehr«, fuhr er würdevoll
fort, »sollte ich aus meiner beruflichen Stellung einen Vorteil gezogen haben
oder Angehörige oder Freunde auf
Weitere Kostenlose Bücher