Himmlische Juwelen
Kammerduette.« Sie sah, dass er damit nichts
anfangen konnte, und überspielte die Situation mit der Bemerkung:
»Möglicherweise stammt sie von seiner Hand. Ich habe das Blatt mit der
Reproduktion einer seiner Partituren in einem Buch verglichen, und die
Handschrift scheint dieselbe zu sein.«
Als Dottor Moretti immer noch nichts sagte, fuhr sie fort: »Die
Wahrscheinlichkeit ist groß, aber ich kann es noch nicht mit Bestimmtheit
sagen.«
»Sie wissen, was die Cousins als Erstes von Ihnen wissen wollen?«,
fragte er.
»Selbstverständlich: ›Wie viel ist das wert?‹«
Dottor Moretti versuchte die von ihm aufgeworfene Frage selbst zu
beantworten: »Ich nehme an, das hängt von [126] Angebot und Nachfrage ab, aber bei
Kunstwerken kann der Wert auch davon unabhängig sehr hoch sein, oder?«
»Wieso Kunstwerk?«, sagte sie. »Das ist nichts als ein Stück
Papier.«
»Wie bitte? Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Das Kunstwerk ist die Musik, der Gesang. Die Partitur ist nur eine
Niederschrift.«
»Aber wenn sie von der Hand des Komponisten stammt? Mozart? Händel?
Bach?« Er schien befremdet und machte keinen Hehl daraus. Immerhin war sie vom
Fach; sie sollte das doch wissen.
»Was nützt das Papier dem, der keine Noten lesen kann? Was einem
Blinden? Was nützt es, solange einer es nicht hört ?«
Sie spürte, dass er ihr zu folgen versuchte, aber wohl nicht ganz verstand.
»Kann man ein Gemälde erklären? Oder erklären, wie ein Parfüm aus
Lavendel und Rosen riecht? Und was ein Gedicht bedeutet?«, fragte sie. An
seinem aufmerksamen Blick erkannte sie, dass er sich in ihre Argumentation
hineindachte. »Die Musik entsteht im Ohr«, sagte sie.
Nach einer Weile antwortete Dottor Moretti lächelnd: »So habe ich
das noch nie betrachtet.«
»Das tun nur wenige.«
[127] 13
Caterina schwieg eine ganze Weile, fühlte sich ungeschützt,
nachdem sie ihre Ansichten mit so viel Nachdruck dargelegt hatte. In
Situationen wie diesen – wenn sie eine Position verteidigte, die anderen extrem
erscheinen musste – versuchte sie im Nachhinein oft, das Gesagte abzuschwächen
oder sogar zu beschönigen, aber diesmal wollte sie nicht nachgeben, denn das
war ihre tiefe Überzeugung: Das Kunstwerk war der Klang; die Schönheit lag im
Gesang oder im Spiel. Die Noten besitzen zu wollen und einem Blatt, nur weil es
von der Hand des Komponisten stammte, einen größeren Wert beizumessen schien
ihr geradezu unanständig. Ihr fiel ein Satz aus dem Katechismusunterricht ein:
Götzenbilder anzubeten sei eine Sünde. Und wenn man erst an den Ablasshandel
dachte. Doch egal, eigentlich brauchte man gar keinen Vergleich: Es war schlicht
falsch, sich einzubilden, Noten auf Papier seien schon die Musik.
Der Anwalt lächelte. »Ich verstehe. Aber solange niemand den Sängern
oder Musikern etwas schriftlich gibt, wissen sie nicht, was sie tun sollen.«
»Aber davon rede ich doch nicht«, sagte sie. »Ich rede davon, ein
Stück Papier oder einen sonstigen Gegenstand zum Fetisch zu erklären. Einen
Brief von Goldoni oder Garibaldis Gürtelschnalle. Goldoni ist bedeutend, weil
er ein großer Dichter war, und Garibaldi berühmt, nachdem er durchgegriffen und
für die Einheit Italiens gesorgt hat. Aber seine Gürtelschnalle ist nichts: Die
ist nicht er, und ein Brief von [128] Goldoni ist nur so viel wert, wie jemand
dafür zu geben bereit ist.«
»Gilt das nicht auch für Musik?«, fragte er. »Wenn alle Zuhörer
einen Sänger für schlecht halten und ausbuhen, wie gut war dann sein Gesang?«
Sie lächelte. »Wenn doch bloß genug gebuht würde.«
»Verzeihung?«
Ihr Lächeln wurde breiter; sie zog ihren Stuhl heraus, setzte sich
und bedeutete ihm, ihr gegenüber Platz zu nehmen. »Damit will ich sagen, dass
das Publikum zu höflich ist. Ich habe in Konzertsälen Darbietungen gehört, die
einfach eine Schande waren, und die Leute haben applaudiert, als wäre alles
wunderbar. Schlechte Vorstellungen werden viel zu selten ausgebuht.«
»Und die Musiker? Muss man auf die nicht auch etwas Rücksicht
nehmen?«
Und das von einem Anwalt? »Ich dachte, Anwälte sind abgebrüht und
eiskalt analytisch.«
Er lächelte liebenswürdig. »Bei der Arbeit bin ich so abgebrüht und
eiskalt analytisch, wie es nur geht: Das gehört nun mal dazu.«
»Aber?«
»Aber jetzt spreche ich von meinem Mitgefühl für die Musiker.« Da
sie nichts sagte, erklärte er: »Ich hatte auch schon schlechte Tage vor
Gericht, wo ich Mandanten nicht so gut vertreten
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