Himmlische Juwelen
habe, wie ich es hätte tun
sollen.«
»Und?«
»Und der Mandant musste die Folgen tragen.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Dass Menschen gute Tage und schlechte Tage haben, und [129] es ist…«,
er suchte nach dem richtigen Wort, »es ist unhöflich, sie das spüren zu
lassen.«
»Haben Sie schon mal einen Kunstfehlerprozess geführt?«, fragte sie.
»Nein. Warum?«
»Da ist es doch genauso, oder? Man erledigt eine Aufgabe so
schlecht, dass jemand dabei Schaden nimmt. Die meisten Leute halten es für
richtig, dass ein Arzt dafür bestraft wird.«
»Schlechter Gesang fügt den Leuten Schaden zu?«, fragte er.
»Kennern im Publikum bereitet es jedenfalls Schmerzen«, sagte sie
und hielt lächelnd ihren Zeigefinger ans Ohr. »Aber es schadet auch ganz
allgemein, denn solange niemand buht, denkt das Publikum, genau so solle die
Musik sich anhören, und damit ist allen ein Bärendienst erwiesen: dem
Komponisten, den anderen Sängern und schließlich den Zuhörern, weil sie auf
diese Weise vielleicht niemals erfahren werden, wie wirklich guter Gesang sich
anhören kann.« Sie verstummte, peinlich berührt von ihrem lehrerhaften Ton.
Dottor Moretti setzte erst nach geraumer Zeit zu einer Antwort an:
»Ich hätte nie gedacht…«, unterbrach sich aber, lachte auf, sah auf die Uhr und
sagte: »Kurz vor zwei. Vielleicht sind wir beide so ernst, weil wir Hunger
haben. Möchten Sie nicht essen gehen?«
Caterina antwortete spontan: »Merkwürdig, aber ich habe jetzt schon
das Gefühl, rechtlich dazu verpflichtet zu sein, die Cousins zum Mitkommen
einzuladen, wenn ich annehme.«
Dottor Moretti erklärte mit der Besonnenheit des [130] Juristen: »Wir
dürfen wohl davon ausgehen, dass sie angesichts der Befürchtung, ihren Anteil
selbst zahlen zu müssen, das Angebot ausschlagen würden.«
»Und das aus dem Mund ihres Anwalts?«
»Ich verwette meinen Ruf darauf«, sagte er zur Überraschung
Caterinas, die in Dottor Moretti bisher einen Mann gesehen hatte, der niemals
wetten und erst recht niemals seine Professionalität aufs Spiel setzen würde.
Ob Dottor Moretti mehr zuzutrauen war als gedacht?
Sie gingen ins Da Remigio, wo man entspannt zu Mittag essen konnte:
Nachdem sie Platz genommen hatten, knöpfte Moretti sogar sein Jackett auf. Sie
merkte kaum, was sie aß, so sehr überraschte sie die Entdeckung, dass Dottor
Moretti – er sagte, er heiße Andrea, und bot ihr das Du an, was sie gern
akzeptierte – ein kultivierter und sehr belesener Mann war. Er habe
ursprünglich Geschichte studiert und sich dann erst für Jura entschieden,
erzählte er, aber Geschichte – er zögerte kurz, sich so enthusiastisch zu
äußern – sei immer seine heimliche Leidenschaft geblieben.
Dottoressa Caterina Pellegrini war eine Frau in den Dreißigern und
nicht ohne Lebenserfahrung. Ein Mann, dessen »heimliche Leidenschaft« es war,
historische Werke zu lesen, war ihr allerdings noch nicht untergekommen.
»Eins muss ich aber noch beichten«, meinte er und wandte verlegen
den Blick ab. »Ich habe das Geschichtsstudium nicht abgeschlossen, bevor ich
zurückgekommen bin und mit Jura angefangen habe.«
»Zurückgekommen? Von wo?«
»Na ja, aus Spanien. Meine Mutter ist Spanierin, musst du wissen.
Ich bin zweisprachig aufgewachsen.« Caterina war [131] so verblüfft über seinen
zerknirschten Tonfall, dass sie lieber abwartete, was er noch zu erzählen
hatte.
»Ich habe den Abschluss nicht gemacht«, sagte er.
»Was ist passiert?«
Er legte die Gabel hin und fuhr sich mit der Rechten durch sein
perfekt gekämmtes Haar. »Mein Vater wurde krank, und jemand musste hierher
zurück. Er war Anwalt, mein Vater, also musste einer von uns seine Kanzlei
übernehmen. Meine beiden Brüder sind älter als ich und hatten schon einen
Beruf.« Er sah sie an, als prüfe er, ob sie nach so vielen Jahren im Ausland
noch hinreichend Italienerin sei, um zu begreifen, dass seine Rückkehr zwingend
notwendig gewesen war.
Caterina nickte. »Natürlich«, sagte sie. »Aber du warst Historiker,
kein Anwalt.«
Er trank achselzuckend einen Schluck Wasser und meinte lächelnd:
»Kein Historiker: ein Student, der zwei Jahre lang Geschichte belegt hatte. Das
ist nicht dasselbe.« Caterina stellte keine Fragen, er sollte ihr das alles auf
seine Weise und in seinem Tempo erzählen.
»Zwei Jahre lang hatte ich tun können, was mir am liebsten war, also
war es vielleicht an der Zeit… nach Hause zu kommen und erwachsen zu werden.«
Er beugte sich vor
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