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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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verschafft, das die Kirche ihm
geben konnte? Und hätte ihn sein Genie, wie es der Purpur eines Bischofs tat,
vor Hohn und Spott seiner Mitmenschen bewahren können?
    Warum auch immer, er hatte sich zum Bleiben entschlossen. Ihre
Gedanken kehrten zu den Notenlinien des Duetts zurück, das in dem Brief zitiert
wurde: Konnte es die geheime Botschaft eines Mannes sein, der viel gelitten und
ausgestanden hatte? Sie suchte noch einmal den Brief des Abbé Battipaglia
heraus.
Fortuna severa
Schicksal,
ai nostri contenti
unserer Zufriedenheit abgeneigt,
d’un alma che spera
erfülle jetzt den Wunsch
consola il desir.
einer hoffenden Seele.
Non durano l’ire
Zorn hält nicht an,
e passa il martir;
Pein vergeht;
Amor sa ferire,
Liebe vermag zu verletzen
ma poi sa guarir.
und sie vermag zu heilen.
    Wieder zitierte Caterina die Bibel: »Da weinte Jesus.«

[147]  15
    Der Rest des Nachmittags verlief friedlich. Sie las,
machte sich Notizen, schrieb Passagen heraus, in denen es um Steffanis
Verwandte ging: Von Agostino abgesehen, erreichten nur ein Bruder und eine
Schwester, beide ebenfalls kinderlos, das Erwachsenenalter. Die Bezeichnung
»Cousin« wurde sowohl in Briefen an ihn als auch in Briefen über ihn häufig
verwendet, aber Caterina wusste, dass dies in Italien nicht unbedingt einen
Verwandtschaftsgrad bezeichnete. Von testamentarischen Verfügungen keine Spur,
ebenso gut hätte sie Reklamesongs suchen können. Die Namen Stievani oder
Scapinelli waren bisher überhaupt noch nicht aufgetaucht, egal in welcher
Schreibweise.
    Steffani hatte viele Freunde und Briefpartner, besonders häufig aber
schrieb er sich mit Sophie Charlotte, der Kurfürstin von Brandenburg. Auch nahm
man in Briefen an Steffani immer wieder Bezug auf diese Verbindung: »Eure
Freundin, die Kurfürstin«, »die Kurfürstin, der Ihr so nahesteht«, oder »Ihre
Hoheit Sophie Charlotte, die Euch mit ihrer Freundschaft beehrt«. Die Briefe
zwischen Steffani und Sophie Charlotte waren voller Wärme. Und angesichts des
Standesunterschieds erstaunlich vertraut.
    Sophie Charlotte schrieb Steffani, sie treibe Studien zum
Kontrapunkt, um eines Tages selbst mit dem Komponieren zu beginnen; es sei ihre
Hoffnung, dereinst Duette zu schreiben, die so sanft und natürlich klängen wie
die seinen. Steffani antwortete scherzend, er hoffe auf ihr [148]  Scheitern bei
diesem Unterfangen, denn sollte sie sich dem Komponieren zuwenden, »wird der
arme Abbé bald vergessen sein«.
    Um fünf stand Caterina vom Tisch auf und machte Licht, verzichtete
aber, wenn auch ungern, darauf, einen Kaffee trinken zu gehen, weil sie keine
Lust hatte, alles wegzuräumen und einzuschließen und dann alles wieder
aufzuschließen und hervorzuholen. Um sechs nahm sie das nächste Päckchen aus
dem Tresor, ein besonders dickes. Der erste Brief sah vielversprechend aus: Der
Schreiber, ein gewisser Marc’Antonio Terzago, sprach Steffani als »Neffen« an.
Er dankte Agostino dafür, dass er einen Verwandten an das Priesterseminar in
Padua vermittelt habe, und pries Steffanis Familiensinn, der »auch durch die
gewaltige Entfernung zwischen Hannover und Padua nicht gelitten« habe.
    Apropos Terzago. Steffanis Bruder Ventura war von einem Onkel dieses
Namens adoptiert worden und hatte dessen Namen angenommen. Hier taten sich für
»Cousins« ganz neue Möglichkeiten auf. Waren diese Terzagos ausgestorben, oder
konnten sie Vorfahren von Stievani oder Scapinelli sein? Als Nächstes kam ein Brief
in der ungelenken Schrift des Jungen selbst, Paolo Terzago, der seinem »lieben
Cousin« für seine Bemühungen dankte. Er befinde sich in dem Seminar sehr wohl
und habe es warm. Der Brief war vom Februar 1726. Februar in Norditalien: kein
Wunder, dass der Junge die Temperatur erwähnte.
    Um halb acht machte Caterina Schluss, obwohl sie fand, Steffani sei
ihr als Mensch nicht verständlicher geworden, und auch über seine
Verwandtschaft hatte sie wenig in Erfahrung gebracht. Sie stand auf, legte die
ungelesenen [149]  Papiere umgedreht auf das Päckchen, band es zusammen und
verschloss es im Tresor.
    Bevor sie ging, wollte sie noch nachsehen, ob Cristina ihre
legendäre Faulheit überwunden und schon geantwortet hatte. Und tatsächlich: Im
Posteingang erschien eine Mail von der Privatadresse ihrer Schwester.
    »Cati, Liebste«, las sie, »Dein Abbé Steffani gibt in der Tat einen
Berg von Rätseln auf.« Caterina war sich sicher, dass sie den Abbé nicht mit
Namen genannt hatte, öffnete aber zur

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