Himmlische Juwelen
und Tadel waren
aus ihrer Stimme verschwunden. »Ich habe ihnen eine Mail geschickt, als
stellvertretende Direktorin der Stiftung; unser Akquisitionsfonds sei mit einer
bedeutenden [141] Spende bedacht worden, wir seien am Ankauf von Manuskripten von
Agostino Steffani interessiert und möchten uns über aktuelle Preise
informieren.« Sie deutete mit dem Kinn auf das Papier: »Und das da haben sie
mir geschickt.«
Caterina sah sie mit unverhohlener Bewunderung an.
»Akquisitionsfonds?«, fragte sie.
Mit der Hand deutete Roseanna an, dass es sich um nichts als heiße
Luft handelte. »Ich hoffte, sie würden antworten, wenn sie wittern, dass am
Ende für sie auch noch was herausspringen könnte.«
»Ach, Roseanna«, sagte Caterina, »du hast Talent fürs
Musikgeschäft.« Sie nahm das Blatt in die Hand. »So viel hat man also für seine
Werke gezahlt«, meinte sie nachdenklich. »Fragt sich nur, wann.«
»Stimmt«, sagte Roseanna. »Kannst du nicht anrufen und fragen? Oder
ihnen schreiben?«
»In welcher Sprache hast du angefragt?«
»Italienisch«, sagte Roseanna. »Was anderes kann ich nicht.«
Caterina ließ das Blatt sinken. »Eins wissen wir immerhin,
vielleicht reicht das ja: Eine vollständige Arie dürfte gut und gerne
neuntausend Euro einbringen.«
Die beiden dachten eine Weile über diese Neuigkeit nach; schließlich
meinte Roseanna, mit dem Finger auf den höchsten Geldbetrag zeigend: »Ich
hoffe, die Cousins kommen nicht auf dieselbe Idee wie ich und finden das hier
heraus.«
Caterina grinste. »Von da an würden sie hier abwechselnd auf der
Schwelle schlafen, was?«
»Mit dem Gewehr im Anschlag«, ergänzte Roseanna.
[142] Der Frieden war wiederhergestellt. Caterina ging nach oben
und sagte sich, sie dürfe sich wegen einer simplen Essenseinladung nicht zum
Narren machen. »Schließ die Papiere ein, schließ die Tür ab«, murmelte sie vor
sich hin, als sie in ihr Arbeitszimmer trat. Eigentlich hätte sie jetzt methodisch
weitermachen, also die Papiere in der vorgegebenen Reihenfolge weiter
durchgehen müssen; stattdessen blätterte sie die restlichen Dokumente – einen
etwa sechs Zentimeter dicken Stapel – auf der Suche nach Partituren bis zum
Ende durch. Ganz unten stieß sie auf ein zur Hälfte mit Notenlinien bedecktes
Blatt; die Schrift war winzig, aber gestochen scharf und stammte mit Sicherheit
nicht von dem Schreiber mit der nach hinten geneigten Schrift. Unter den Noten
war noch Platz für zwei Absätze Text und die Unterschrift: »Dein Bruder in
Christo, Donato Battipaglia, Abbé di Modena«.
Sie ließ das Blatt sinken und starrte die Wand an. Etwas hatte sie
irritiert. Aber was? Sie las noch einmal die Unterschrift. Battipaglia – der
Name erschien hier zum ersten Mal. Ohne sich hinzusetzen, las sie den Brief
noch einmal aufmerksam durch. Zuerst war die Rede von einem Konzert –selbstverständlich war das keine Musik Steffanis –, das »wie das Geknarr einer
schlechtgeschmierten Kutsche« geklungen habe. Sodann pries Battipaglia im
blumigen Stil seiner Zeit Steffanis Oper Le rivali concordi und bemerkte, zu seinem »unschätzbaren Glück« habe er eine Abschrift derselben
in der Bibliothek seines Förderers, Rinaldo III .,
Herzog von Modena, sehen dürfen. Er pries die Partitur als Ganzes, würdigte die
im Libretto so nachdrücklich bekundete edle Gesinnung und wandte sich dann
einem Beispiel von [143] »einzigartiger Meisterschaft der musikalischen Erfindung«
zu. Die zitierten Takte, schrieb er, stammten aus dem Duett ›Timori, ruine‹ und
seien von erhabener Schönheit. Caterina sah sich die Noten an und gab dem Abbé
recht. Sie summte die Melodie vor sich hin. Oh, er war gut, dieser Steffani,
dachte sie, mit seinem guten Dutzend Opern, seinen Divertimenti und Duetten,
seiner geistlichen Musik und seinem phantastischen Gefühl für den Wohllaut der
menschlichen Stimme. Wieder starrte sie die Wand an und versuchte zu ergründen,
was ihr in diesem Brief merkwürdig vorkam.
Sie sah noch einmal nach der Unterschrift: Sagte man nicht, dass die
Unterschrift viel vom Charakter eines Menschen verriet? Aber all die Kringel
und Schnörkel waren in dieser Epoche nichts Ungewöhnliches. »Donato
Battipaglia, Abbé di Modena«.
»Abbé«, sagte sie vor sich hin. »Was zum Teufel ist ein Abbé?«
Liszt fiel ihr ein: Der war auch Abbé gewesen, aber wenn so das
Leben eines Priesters aussah, dann war Caterina die Erbin des Königs Zog.
Sie öffnete ihr E-Mail-Konto und wählte
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