Himmlische Juwelen
Sicherheit den Ordner für gesendete
Nachrichten und las noch einmal ihre eigene Mail: Sie hatte Steffanis Namen
nicht erwähnt, nur seinen Titel.
»Bestimmt hast Du Dich soeben in Deiner Mail davon überzeugt, dass
Du mir nur seinen Titel genannt hast. Um Dir unnötiges Leid oder die Annahme zu
ersparen, mein Übertritt auf die Dunkle Seite habe mich mit Dunklen Kräften
ausgestattet, bedenke, dass Du mir außer seinen Lebensdaten auch verraten hast,
dass er Komponist war, wahrscheinlich Italiener (er war Kastrat, so jedenfalls
Dein Verdacht, und die kamen nun mal leider aus Italien), gestorben in
Deutschland.
Dank der wissenschaftlichen Ausbildung, die mir die Heilige Mutter
Kirche angedeihen ließ, die während Abertausender Stunden meinen Verstand
rasiermesserscharf schliff, hatte ich die Eingebung, diese drei Informationen
gleichzeitig in Google einzuspeisen. Nur ein Name erscheint. Vielleicht hätte
die Kirche das viele Geld, das sie für mich aufgewendet hat, doch lieber, wie
Du so oft vorschlägst, den Armen geben sollen?
›Abbé‹ war zu Lebzeiten Deines Komponisten in der Tat [150] mehr oder
weniger ein Ehrentitel, und obwohl die Quellenlage widersprüchlich ist (ich
verschone Dich mit Einzelheiten), kann man doch sagen, dass ein Abbé nicht
unbedingt Priester sein musste. Manche waren es; viele waren es nicht. Mit den
Bischöfen verhielt es sich übrigens auch nicht viel anders, und da Dein
Komponist später Bischof wurde, greife ich Deiner Frage vor: Damals war auch
der Träger einer Mitra nicht unbedingt Priester. Denke nur an Steffanis
Arbeitgeber Ernst August, der – verheiratet, Vater, aber nie ordiniert –
dennoch Fürstbischof von Osnabrück gewesen ist. Natürlich war Ernst August
Protestant (buh), aber die hatten anscheinend dieselben dehnbaren Vorschriften,
die es Männern (wem sonst) erlaubten, Bischof zu werden und sogar andere zum
Bischof zu weihen, ohne sich um irgendwelche Priesterweihen zu scheren. Nicht
viel anders als beim Joghurt, wo man auch nur ein bisschen braucht, um mehr
daraus zu machen.« Caterina wunderte sich an dieser Stelle nicht zum ersten Mal
über den Mangel an Ernst, mit dem Cristina von jener Organisation sprach, der
sie ihr Leben und ihre Seele geweiht hatte.
»Was die Regel betrifft, wonach ein Kastrat nicht Priester werden
durfte und darf, so trügt Deine Erinnerung, wie so oft, liebste Cati, Dich
nicht. Das kanonische Recht stellt unter Ziffer 1041, Nr. 5, eindeutig klar,
dass »wer sich selbst oder einen anderen schwerwiegend und vorsätzlich
verstümmelt oder wer einen Selbstmordversuch unternommen hat« die Priesterweihe
nicht empfangen darf. Zu diesen Grundsätzen gehört auch, dass die
Untauglichkeit eines Mannes zum Vollzug der Ehe ihn ebenso untauglich zur
Priesterschaft macht, zweifellos eine euphemistische Art, [151] von Kastration
oder sexuellen Funktionsstörungen zu reden.
Papst Sixtus V . stellte am 27. Juni
1587 (Du magst uns nicht mögen, meine Liebe, aber Du musst zugeben, dass wir
unsere Bücher in Ordnung halten) die Position der Kirche in seinem Breve Cum frequenter eindeutig klar: Kastraten dürfen nicht
heiraten.
So viel dazu, Schwesterherz. Mehr kann ich erst sagen, wenn ich
Antwort von zwei Leuten erhalte, die ich um weitere Auskünfte gebeten habe; ich
leite diese dann an Dich weiter. Hier läuft alles bestens. Ich arbeite an
meinem nächsten Buch, es geht um die vatikanische Außenpolitik im 20.
Jahrhundert. Wahrscheinlich werde ich danach rausgeschmissen oder an eine
sizilianische Grundschule versetzt. Oder könntest Du mich als
Vollzeitassistentin einstellen? Mach’s gut, Kitty-Cati; behalt bitte für mich
die Familie im Auge, besonders die arme, traurige Claudia, die statt dieses
grässlichen Anwalts lieber den netten Elektriker aus Castello hätte heiraten
sollen. Ihr fehlt mir alle sehr; manchmal sehne ich mich so schrecklich nach
Hause zurück, dass ich am liebsten den Daumen raushalten und gen Süden trampen
würde. Da fällt mir ein, wie wir damals nach Frankreich getrampt sind und mamma und papà erzählt haben, wir
würden den Zug nehmen. Mit diesem Mann – war er nicht Buchhalter?, ich weiß
nicht mehr – dieser Moment, als mir Paris zu Füßen lag, war einer der
aufregendsten Augenblicke meines Lebens. Die Promotion oder die Ernennung zum
Professor war nichts dagegen.
Ich sende Euch allen meine Liebe und überlasse es Dir, sie der
Bedürftigkeit nach auszuteilen. Liebe Grüße, Tina-Lina.«
[152] Caterina war
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