Himmlische Juwelen
ist. Alles dasselbe.«
»Interessant«, sagte er nicht sonderlich überzeugt.
»Was denn?«
»Dass alle deine Beispiele aus dem religiösen Bereich kommen.«
»Weil man da sicher sein kann, dass alles Unsinn ist.«
»Sicher?«
»Jedenfalls für meinesgleichen«, schränkte sie geistesgegenwärtig
ein, ihren Satz mit einem Lachen herunterspielend.
»Und für uns andere?«
»Ist ein Stück Papier eben nicht nur ein Stück Papier, nehme ich
an«, sagte sie. »Es kommt immer drauf an, was man glauben will.«
Wieder schwieg er sehr lange, und diesmal war sie sicher, dass sie
den Bogen überspannt und seine Gefühle verletzt hatte und dass er nur noch gute
Nacht sagen und auflegen würde.
»Hättest du morgen Abend Zeit, mit mir essen zu gehen?«, fragte er
zu ihrer Überraschung.
Als sie und ihre Freundinnen anfingen, mit Jungen auszugehen, waren
sie sich einig, dass man die erste Einladung niemals annehmen dürfe: Das sei
keine gute Taktik, befanden sie mit der Weisheit von Teenagern.
Nun, sie war kein Teenager mehr, oder? »Ja.«
[204] 21
Nachdem sie aufgelegt hatte, konnte Caterina noch nicht
gleich schlafen gehen und arbeitete lieber noch etwas weiter. Sie las noch
einmal den Artikel in der Katholischen Enzyklopädie. Gegen Ende stieß sie auf eine Bemerkung, die ihr genauerer Betrachtung wert
schien. »1696 an verschiedenen deutschen Höfen und 1698 in Brüssel war Steffani
mit einer delikaten Mission betraut, für die er sich aufgrund seines
liebenswürdigen und umsichtigen Wesens besonders eignete.«
Konnte diese »delikate Mission« mit der Ermordung Königsmarcks zu
tun haben? In diesem Zusammenhang war stets, bis in die Register hinein, von
einer »Affäre« die Rede: Eine derartige Beschönigung hatte sie selten erlebt.
War diese Umetikettierung nicht eine Aufgabe, für die Steffani sich aufgrund
seines liebenswürdigen und umsichtigen Wesens besonders eignete? Von
liebenswürdigen und umsichtigen Männern nimmt man im Allgemeinen nicht an, dass
sie im Dienst von Mördern stehen oder von Leuten, die Morde in Auftrag geben,
nicht wahr? Sie klickte die Enzyklopädie weg, um sich
in zuverlässigeren Quellen umzusehen.
Herzog Ernst August hatte sich jahrelang bemüht, die lange Liste
seiner Titel mit dem eines »Kurfürsten« zu krönen, und 1692 verlieh ihm der
Kaiser glücklich die neunte Kur. Wenig später aber verschwand der bis dahin
allgegenwärtige Geliebte seiner Schwiegertochter, und alles, was von ihm blieb,
war ein bisschen Klatsch und Tratsch bei Hof und in norddeutschen Adelskreisen.
Das Ganze wurde als »Affäre« [205] abgetan, der Mann aber, der am meisten davon
profitierte, behielt eine weiße Weste.
Im Katalog der Wiener Universitätsbibliothek, den sie wie ihre
Hosentasche kannte, fand sie schnell und zuverlässig, welche Ämter und
Befugnisse mit dem Titel eines Kurfürsten verbunden waren. Abgesehen davon,
dass Kurfürsten den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wählten, hatten sie
ihrerseits auch fürstliche Privilegien. »Big deal«, murmelte Caterina. Zumal Kurfürsten das Monopol auf sämtliche Bodenschätze
ihres Territoriums hatten – und dies in einer Zeit der Gold- und Silberwährung.
Ferner durften sie Juden besteuern und Münzen prägen. »Kurfürst« war also nicht
nur ein Ehrentitel, der die Eitelkeit befriedigte, sondern kam auch der Habgier
entgegen: eine verführerische Mischung.
Aber wenn deine törichte Schwiegertochter vor aller Augen mit einem
berüchtigten Schwerenöter poussiert und damit deinen guten Ruf gefährdet, wie
viel Respekt kannst du dann noch von deinen gekrönten Kollegen oder selbst vom
gemeinen Volk erwarten? Kaum anzunehmen, dass die anderen Kurfürsten unter diesen
Umständen für deine Aufnahme in den Klub stimmen, und das war, wie sie gelesen
hatte, eine unabdingbare Voraussetzung. Caterina brauchte nur an den Tod jener
schönen jungen Prinzessin zu denken – dreihundert Jahre später –, die sich,
freilich erst nach der Scheidung vom Thronerben, einen Liebhaber genommen
hatte. Als sie zusammen mit ihrem Geliebten auf spektakuläre Weise ums Leben
kam, erging sich die ganze Welt in wilden Spekulationen und Gerüchten über die
»wahre« Ursache ihres Todes. Hätte sich nicht genau dasselbe abgespielt, wenn
Königsmarck coram publico gestorben wäre? [206] Offizielle
Informationen werden stets im majestätischen Schneckentempo verlautbart,
Gerüchte hingegen verbreiten sich mit Lichtgeschwindigkeit. Dann lieber softly, softly
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