Himmlische Juwelen
in the night, bei Nacht und Nebel. Ein
rätselhaftes Verschwinden, von dem nur das Gerücht um eine »Affäre« blieb, war
sehr viel besser als eine Leiche am Straßenrand.
Sie schlug das Buch über Steffani auf und sah sich noch einmal das
Porträt an, das angeblich aus dem Jahr 1714 stammte. Man substrahiere das
Doppelkinn und das in zwanzig Jahren angesammelte Fett und gebe ihm ein paar
Haare mehr auf dem Kopf zurück – und schon war ihm wie jedem anderen
zuzutrauen, dass er seinem Gegenüber ein Messer in den Rücken stößt. In vielen
Schilderungen war von Steffanis freundlichem, friedlichem Wesen die Rede: Er
war in Deutschland als Diplomat, und solche Männer sind nicht gerade bekannt
dafür, dass sie wüste Kneipenschlägereien anzetteln, um ihre Ziele zu
erreichen. Und doch missionierte Steffani in Norddeutschland für die
Papstkirche – konnte es da für den Anfang einen Besseren geben als den
protestantischen Herzog von Hannover? Und wie konnte er dessen Gunst besser
erlangen als dadurch, dass er ihm den großen Gefallen tat, einen lästigen
Höfling aus dem Weg zu räumen, der Ernst Augusts Anspruch auf die
Kurfürstenwürde zunichte zu machen drohte? Wie Stalin sagte: »Kein Mann, kein
Problem.«
Steffani mochte es nicht geschafft haben, Norddeutschland in den
Schoß der wahren Kirche zurückzuholen, aber sein Eintreten für religiöse
Toleranz und den Bau einer neuen Kirche für die hannoverschen Katholiken war
erfolgreich, und das konnte dem Vatikan durchaus den Tod eines Mannes [207] wert
sein, der schließlich nur ein Protestant gewesen war. Caterina fand einen
weiteren Hinweis auf Nicolò Montalbano und die 150000 Taler. Vom Wert eines
Talers im Jahre 1694 hatte sie allenfalls eine vage Vorstellung, aber die Zahl
150000 sprach für sich.
Im Jahr darauf illustrierte Steffanis Oper I trionfi
del fato den Gedanken, der Mensch sei nicht allein für seine Gefühle und
damit für sein Handeln verantwortlich. Konnte man den Tratsch am kurfürstlichen
Hof besser zum Schweigen bringen? Gehörte auch dies zu Steffanis »delikater
Mission«?
Es war nach Mitternacht, und sie fand, sie habe die Dinge nun
genügend hin und her gewendet.
Sie ging in die Küche, ein Glas Wasser trinken, dann ins Bad,
Gesicht waschen und Zähne putzen. Im Spiegel sah sie eine Mittdreißigerin mit
gerader Nase und, jedenfalls bei diesem Licht, grünen Augen. Sie nahm die
Zahnbürste aus dem Mund, stellte sie in das Glas, schöpfte Wasser in die hohle
Hand und spülte den Mund aus. Dann richtete sie sich auf und sagte zu ihrem
Bild im Spiegel: »Deine Schwester ist Historikerin. Sie wird wissen, wie man
diesem Montalbano auf die Schliche kommt. Außerdem lebt sie in Deutschland, wo
sich das alles zugetragen hat.« Sie pries sich für ihren Scharfsinn, ging an
den Schreibtisch zurück und schaltete den Computer wieder ein.
»Tina-Lina, darf ich Dich, auch wenn Dir das Wasser momentan bis zum
Hals steht, um einen Gefallen bitten? Könntest Du für mich mehr über Nicolò
Montalbano herausfinden, einen Venezianer, der zu der Zeit am Hof von Ernst
August lebte, als Königsmarck ermordet wurde, und [208] kurz darauf zu einer Menge
Geld gekommen ist. Sein Name ist mir vertraut, aber nur im Zusammenhang mit
Musik, nicht mit Mord und Erpressung. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du ihm
hinterherrecherchieren könntest. Auf seinen Namen bin ich in einem Schauerroman
über jenen Staatsskandal gestoßen, den man als eine Affäre abtat; die genaue
Quelle kannst Du von mir haben, falls Du das Buch selbst lesen willst. Wenn
Onkel Rinaldo Dich nicht als Lehrling einstellt, solltest Du über eine Karriere
als Schriftstellerin nachdenken: Was könntest Du nicht alles aus Deinen
historischen Kenntnissen herausholen: leidenschaftliche Szenen, die Du bei der
Schilderung des Konzils von Worms oder des Spanischen Erbfolgekriegs einbauen
könntest, bestimmt gibt auch das spannende Kopf-an-Kopf-Rennen um den Posten
des Bischofs von Chur etwas her, das Du in ein modernes Vom
Winde verweht verwandeln könntest.
Es ist spät, ich bin müde, und morgen Abend gehe ich mit einem sehr
attraktiven Mann essen, den ich hier kennengelernt habe. Fast möchte ich
hoffen, dass nichts aus der Geschichte wird; er ist nämlich Anwalt, und ich
würde nur ungern meine Meinung ändern, dass diese Leute allesamt blutsaugende
Opportunisten sind.
In dieser Wohnung, die man mir zur Verfügung gestellt hat, gibt es
ein Gästezimmer – nur für den Fall, dass Du nach
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