Himmlische Juwelen
Hause kommen, aber nicht
unbedingt bei mamma und papà wohnen möchtest. Alles Liebe, Cati.«
Kaum hatte sie die Mail abgeschickt, dachte sie, den letzten Satz
hätte sie sich sparen sollen. Aber das ist das Dumme mit E-Mails: Man schreibt
sie in Eile, schickt sie ab und hat keine Möglichkeit mehr, den Brief noch
einmal aufzureißen [209] und durchzulesen, ob man die richtigen Worte gefunden
hat.
Sie machte den Computer aus, ließ die Bücher aufgeschlagen liegen
und ging ins Bett.
Am nächsten Morgen erwachte sie mit einem Gefühl unbändiger
Vorfreude, das sie sich zunächst nicht erklären konnte. Dann aber fiel ihr die
Verabredung mit dem blutsaugenden Opportunisten ein, sie lachte laut auf und
stieg aus dem Bett.
Sie waren für halb acht verabredet, Andrea wollte sie in der
Stiftung abholen; jetzt würde sie erst einmal kurz dort vorbeigehen, dann den
Tag in der Marciana verbringen und anschließend über ihre Arbeit rapportieren.
Es bereitete ihr ein diebisches Vergnügen, dass sie Dottor Moretti eine Mail
für die Cousins senden würde, die er weiterleiten würde, um alsdann
höchstpersönlich mit ihr essen zu gehen.
Vor der Tür spürte sie sofort, dass der Frühling nun endlich Ernst
machte. In Manchester hatte sie gelernt, dem Wetter zu misstrauen, aber jetzt
hielt sie es nicht für nötig, die vier Treppen noch einmal hinaufzusteigen, um
sich eine dickere Jacke oder einen Schal zu holen. Auf der Riva wehte ihr
jedoch ein so kühler Wind vom Kanal entgegen, dass sie beschloss, das Vaporetto
zu nehmen, wenn auch nur für eine Station. Während sie Richtung Anlegestelle
Arsenale eilte, näherte sich von hinten bereits eine Nummer 1, die sie
unmöglich noch erwischen konnte, selbst wenn sie laufen würde. Sie ließ das
Boot sausen und bog zum Campo Bragora ein, um dem Wind zu entkommen.
In der Stiftung ging sie als
Erstes zu Roseannas Büro. Die Tür stand offen, Roseanna saß telefonierend am [210] Schreibtisch,
winkte sie lächelnd heran und beendete das Gespräch mit ein paar höflichen
Worten. Sie legte das Handy weg, stand auf und begrüßte Caterina mit zwei
Wangenküssen. »Endlich was gefunden?«, fragte sie neugierig, nicht
vorwurfsvoll.
»Ich habe mich in der Marciana über die Hintergründe informiert«,
erklärte Caterina. Roseanna stützte sich mit den Händen am Tisch ab und spitzte
die Ohren.
»Es gibt einen Brief von ihm an zwei Männer, mit Namen Stievani und
Scapinelli.«
»Tatsächlich?«, fragte Roseanna mit großen Augen.
»Ja. Die zwei ursprünglichen Cousins«, sagte sie und freute sich
über Roseannas ermunterndes Lächeln.
»Und was schreibt er ihnen?«
»Sie – also er und die beiden – hätten ein paar Häuser in der Nähe
von San Marcuola geerbt, die die Labia-Familie okkupiert habe. Er wolle mit
ihnen besprechen, wie sie in den Besitz der Häuser kommen und sie verkaufen
könnten. Hört sich an, als sei er knapp bei Kasse gewesen.«
Da Roseanna schwieg, fuhr sie fort: »Sie haben ihm nicht
geantwortet.«
»Was war denn los?«
»Weiß ich nicht. Jedenfalls ist in den Archiven keine Antwort zu
finden.«
»Wie klingt er?«, fragte Roseanna nachdenklich, als gehe es um
jemanden, mit dem sich Caterina gerade getroffen hatte.
»Pardon?«
»Steffani. Wie wirkt er in diesem Brief?«
»Höflich«, meinte sie nach kurzem Nachdenken; beim [211] Lesen des
Briefs hatte sie nicht darauf geachtet. »Und schwach«, fügte sie zu ihrer
eigenen Überraschung hinzu. »Er fleht sie geradezu an, sich bei ihm zu melden,
und beteuert mehrmals, ihm liege nur das Wohl der Familie am Herzen; als ob er
meint, sie hätten Anlass, das zu bezweifeln.« Sie ließ sich den Brief noch
einmal durch den Kopf gehen. »Ich hatte – wie soll ich sagen – ein
unbehagliches Gefühl dabei.«
»Warum?«
»Weil er so unterwürfig schreibt. Damals war man förmlicher als
heute, die Sprache war gekünstelter und voller Höflichkeitsfloskeln. Aber
dieser Brief war mehr als förmlich, geradezu kriecherisch, und bei einem Mann
von seinem Format schien mir das irgendwie unangemessen.«
»Format als Musiker?«
»Ja. Und Bischof war er schließlich auch noch! Und wenn man dann
liest, wie er vor zwei Cousins aus einem Kaff wie Castelfranco zu Kreuze
kriecht, nur damit sie ihm helfen, an Geld zu kommen… Das ist kaum zu
ertragen.« Da kam ihr ein Gedanke: Wenn überhaupt jemand mit Bestimmtheit
wusste, dass Agostino Kastrat war, dann seine Familie; vielleicht erklärte dies
seine peinliche
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