Himmlische Juwelen
zuweilen recht übertrieben?
»Da Ihr Macht über jedermann besitzt«; »die Gnade, welche Euer Majestät mir zu
erweisen geruhten«; »der Brief, mit dem Eure Majestät mich beehrte«; »Eure
Majestät vermag nichts zu tun, ohne darin den Gipfel der Vollkommenheit zu
erreichen«; »ich habe das Vergnügen, Euer Majestät gehorsamer Diener zu sein«.
Doch immerhin, vergegenwärtigte sich Caterina, richteten sich diese
Briefe an die Königin von Preußen, eine Frau, die in ganz Europa für ihre
außerordentliche Bildung bekannt war. Caterina dachte an Schloss
Charlottenburg, das man eigens für sie errichtet hatte, und an ihre zentrale
Rolle als Förderin der Musik. Und dieser Gedanke brachte ihren [215] Unwillen über
Steffanis Unterwürfigkeit endgültig zum Schweigen. »Kleinkarierte Liberale«,
tadelte sie sich selbst.
Und doch, und doch, am liebsten hätte sie Steffani an seinem
Chorhemd gepackt, ihn geschüttelt und ihm gesagt, dass Sophie Charlotte
dreihundert Jahre später zu einer Fußnote in der Geschichte Preußens
geschrumpft war, die kaum noch jemanden interessierte, während seine Musik noch
immer aufgeführt und bewundert werde. »Kleinkarierter Parvenü«, flüsterte sie
diesmal vor sich hin.
[216] 22
»Die Wechselfälle unseres Jahrhunderts quälen mich schon
weniger, wenn sie Euch dazu bewegen, Euch wieder dem Komponieren zu widmen.
Stürzt Euch kopfüber hinein, ich flehe Euch an. Die Musik ist eine treue
Freundin, die Euch nicht verlassen, Euch nicht verraten und Euch keine Qualen
bereiten wird, vermag sie Euch doch alle Wonnen und Schönheiten des Himmels zu
schenken. Freunde hingegen sind lau und falsch, und Mätressen undankbar.« Dies
ist die Antwort der Königin auf jenen Brief, als Steffani so niedergeschlagen
war. Ihre Worte gingen weit über das Konventionelle hinaus und offenbarten ihr
Herz. Caterina erfüllte es mit Freude, dass diese Frau, die Steffani viel
bedeutete, ihm so großmütig Trost und Beistand spendete.
Und doch brach der Briefwechsel wenige Monate später ab. Steffani
hatte der Bitte eines Medici-Kardinals entsprochen und die Königin inständig
darum gebeten, ihren Lieblingsmusiker nicht länger zurückzuhalten, sondern ihn,
entgegen ihrem Wunsch, in sein Kloster nach Italien heimkehren zu lassen. Doch
sie, ganz Königin, war indigniert. Es kamen keine Briefe mehr. Nicht ohne dass
Leibniz, jener cleverste aller Philosophen, zuvor bemerkt hatte: »Wenn der
Herzog von Celle nur einen Jäger hätte, urteilen Sie selbst, wie man da ankäme,
wenn man ihm diesen einen wegnehmen wollte.«
Tja, dachte Caterina, der alte Leibniz hat sich über die Hackordnung
bei Hofe keine Illusionen gemacht. Er dürfte oft genug selbst dabei gewesen
sein, um das eine oder andere [217] über den wahren Rang eines Musikers
mitzubekommen, ungeachtet aller blumigen Lobeshymnen. Auch sein Bischofstitel
half Steffani nichts, sowie er jene unsichtbare Linie überschritt. Du bist ein
Genie, und die Schönheit deiner Musik verzaubert mich, aber vergiss nie, wo du
hingehörst, und bilde dir auch nicht für eine Sekunde ein, du könntest die
Entscheidungen der Königin von Preußen anzweifeln.
Es war schon nach sechs, blieb gerade noch Zeit, in die Stiftung
zurückzukehren und schnell noch den Bericht für Dottor Moretti zu schreiben. Da
sie heute Abend mit ihm essen gehen würde, nahm sie kein Buch mit nach Hause,
sondern ließ alle Bücher liegen, um am nächsten Tag weiterzulesen.
Als sie gegen sieben in der Stiftung ankam, war Roseanna schon nicht
mehr da. Oben in ihrem Büro ging Caterina sofort an den Computer und gab ihr
Passwort ein. Sie hatte drei neue Mails, doch sie warf nicht einmal einen Blick
auf die Absender, sondern öffnete eilig eine neue Mail an Andrea und hielt die
Forschungsergebnisse des heutigen Tages fest. Ohne es noch einmal durchzulesen,
schickte sie das Ganze ab und wechselte zum Posteingang.
Die erste Mail war von einer Bank, von der sie noch nie etwas gehört
hatte und die ihr einen Kredit anbot. Löschen.
Die zweite war von einer jungen Russin, vierundzwanzig, mit einem
Doktortitel in Elektrotechnik, die sich mit einem kultivierten Italiener
austauschen wollte. Sie widerstand der Versuchung, das an Avvocato Moretti
weiterzuleiten, und löschte es.
Die letzte war von Cristina, abgeschickt am frühen Nachmittag. »Du
hast Jura studiert, Cati, vor nicht so langer Zeit, [218] also wirst Du Dich daran
erinnern, was Juristen unter der Verjährungsfrist von
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