Himmlische Juwelen
hat.«
[233] 23
»Welche Mails?«, fragte Cristina, plötzlich hellwach.
»Die ich auf dem Computer geschrieben habe, den er mir so großzügig
ins Büro gestellt hat. Er sagte, seine Kanzlei brauche den nicht mehr und er
habe ihn von einem seiner Leute für mich umrüsten lassen…« Sie holte ein
paarmal tief Luft. »Er hat ihn mir gebracht, und seitdem benutze ich ihn.« Noch
zwei tiefe Atemzüge. Ihr zitterten die Knie; sie setzte sich aufs Sofa.
»Und wie kommst du darauf, dass er sie gelesen hat, Cati?«
»Heute Abend beim Essen hat er so nebenbei bemerkt, ich hätte Jura
studiert.«
»Das stimmt doch auch. Zwei Jahre lang, wenn ich mich recht
erinnere.«
»Aber das habe ich ihm nie erzählt.«
»Dann hat er es vielleicht in deinem Lebenslauf gelesen.«
»Ausgeschlossen«, rief Caterina aufgebracht. »Ich verliere nie ein
Wort darüber und habe es auch in meinem Lebenslauf nicht erwähnt.«
»Und wie hast du die Lücke von zwei Jahren gefüllt?«
»Indem ich meine Tätigkeiten davor und danach je ein Jahr verlängert
habe. Das prüft doch kein Mensch nach. Und da es nicht in meinem Lebenslauf
steht und ich ihm kein Wort davon erzählt habe, kann er es nur aus meinen Mails
erfahren haben.«
»Wie kannst du dir so sicher sein?«
[234] »Hab ich doch gesagt, Tina!« Sie unterdrückte den Zorn in ihrer
Stimme mit knapper Not. »Er wusste, dass ich Jura studiert habe, und das kann
er nur in deiner letzten Mail an mich gelesen haben, wo du es erwähnt hast.«
Wie oft musste sie das ihrer verschlafenen Schwester noch sagen, bis sie es kapierte?
»Aber warum hat er überhaupt davon angefangen?«
»Er erklärte mir, dass ein Nachlass nach einer bestimmten Zeit an
den Staat fällt, wenn kein Erbe darauf Anspruch erhebt, und dann tat er so, als
ob wir alle unter einer Decke stecken; jedenfalls meinte er, das müsse ich doch
wissen, weil ich Jura studiert habe.«
»Und wie hast du reagiert?«
»Gar nicht. Als hätte ich nichts gemerkt. Er dachte wahrscheinlich,
er wüsste das aus meinem Lebenslauf. Denn wer verschweigt so etwas schon?«
»Du offenbar«, unterbrach Tina. Ihr Lachen stellte die herzliche
Atmosphäre zwischen ihnen wieder her.
»Was mag er nur vorhaben?«, fragte Caterina und dachte an das
Durcheinander im Briefarchiv.
»Das ist nicht die richtige Frage.«
»Sondern?«
»Was tun? Wenn er nicht gemerkt hat, dass du ihn durchschaust,
können wir uns einfach weiter schreiben. Nein, wir müssen. Wenn wir plötzlich
aufhören würden, könnte er den Braten riechen.«
»Sind wir bei James Bond gelandet?«, fragte Caterina.
»Das hängt ganz von dir ab, Cati«, sagte Cristina ruhig. »Wenn du
das nicht willst, mach einfach weiter deine Arbeit, lies die Papiere und
schreib deine Berichte, lass sie [235] den Schatz finden oder nicht, nimm das Geld
und verschwinde.«
»Ein sehr weltlicher Rat.«
Tina verzichtete auf eine Antwort, was wahrscheinlich bedeutete,
dass sie zu dieser Stunde nicht auch noch darüber debattieren wollte.
Caterina dachte laut: »Ich frage mich, ob die Cousins ihn dazu
angestiftet haben.«
»Für wen sollte er es denn sonst tun?«, fragte Tina.
Den Cousins war ohne weiteres zuzutrauen, dass sie Caterina
kontrollieren wollten. Aber gäbe sich Dottor Moretti – Andrea – dafür her? Dass
sie diese Möglichkeit nicht ausschließen konnte, machte sie unendlich traurig.
Beide Schwestern schwiegen lange. Caterina ließ ihre Gespräche mit
Avvocato Moretti Revue passieren. Kurz dachte sie an die Enzephalitis und die
möglichen Folgen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Schließlich sagte
sie es doch laut: »Er hat nach einer Enzephalitis sechs Monate lang im Bett
gelegen und die Kirchenväter auf Latein gelesen.« Und dann fragte sie: »Ist
dein Computer noch an?«
»Wie die Liebe des Heiligen Geistes erhellt er stets meine Wege.«
»Gib seinen Namen ein und sieh nach, was du rausfindest.«
»Soll ich dich zurückrufen?«
»Nein, tu’s jetzt«, sagte Caterina energisch.
Sie hörte Schritte, das Scharren eines Stuhls, dann lange nichts
mehr.
»Wie ist sein vollständiger Name?«, fragte Cristina.
»Andrea Moretti.«
[236] »Wie alt?«
»Ungefähr fünfundvierzig.«
»In Venedig geboren?«
»Das nehme ich an.«
Während ihre Schwester mit der Suche begann, balancierte Caterina
erst auf einem Fuß, dann auf dem anderen: eine Übung, von der ihr jemand
erzählt hatte, sie werde ihr helfen, im Alter das Gleichgewicht zu halten. Sie
erschrak, als
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