Himmlische Juwelen
Mörder zu decken.«
»Das heißt, man darf ihr nicht glauben? Dass sie gesehen hat, wie
Steffani ihn umgebracht hat?«
»Behauptet sie das? Dass sie ihn dabei gesehen hat?«
Caterina versuchte, sich an den genauen Wortlaut in der Mail von
Tinas Bekannten zu erinnern. »Sie schreibt etwas von Blutgeld, das er erhalten
habe«, sagte sie.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das gleichbedeutend mit der Aussage
ist, sie habe ihn mit eigenen Augen bei der Tat beobachtet«, meinte Andrea und
nahm dann vorweg, was sie selbst gerade vorschlagen wollte: »Könnten wir
vielleicht von was anderem reden?«
[224] Erleichtert stimmte sie zu. Er zahlte, ging zur Tür und hielt sie
ihr auf.
Andrea führte sie zu einer kleinen Trattoria hinter der Pietà: ein
halbes Dutzend Holztische mit klobigen Beinen, ganz wie früher, mit zerkratzten
und eingekerbten Oberflächen und Brandflecken von vergessenen Zigaretten an den
Kanten. Zahllose Flaschen auf dem verspiegelten Regal hinter der Bar, daneben
die Schiebetür zur Küche.
Zwei Tische waren bereits besetzt. Der Kellner erkannte Moretti und
geleitete sie zu einem Tisch in der hinteren Ecke. Er gab ihnen Speisekarten
und verschwand wieder.
»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, in so einem schlichten Lokal zu
essen«, sagte er.
»Im Gegenteil«, sagte sie. »Meine Eltern reden ständig davon, wie
schwierig es geworden ist, noch etwas zu finden, wo es gutes Essen gibt, ohne
dass man für die Rechnung eine Hypothek aufnehmen muss.«
»Das ist hier nicht gerade der Fall«, sagte er lachend. »Das heißt,
das Essen ist gut, aber nicht billig. Deswegen komme ich hierher, weil es gut
ist.« Er merkte selbst, dass er sich verhaspelt hatte, zuckte die Achseln und
klappte die Speisekarte auf.
Sie redeten über dies und das: Familie, Schule, Reisen, Lesen,
Musik. Sein Leben entsprach im Wesentlichen dem Eindruck, den er vermittelte:
Vater Anwalt, Mutter Hausfrau; zwei Brüder, einer der schon erwähnte Chirurg,
der andere Notar; Schule, Universität, erster Job, Sozietät. Doch einiges
passte nicht ins Bild: Vor sieben Jahren an Enzephalitis erkrankt, musste er
sechs Monate das Bett hüten und las in dieser Zeit die Kirchenväter auf Latein.
Als sie diese [225] Einzelheiten einzufügen versuchte, wurde für einen Moment
alles unscharf. Eine Begegnung mit dem Tod: Von Enzephalitis wusste sie nur,
dass es eine schlimme Krankheit war, die oft tödlich verläuft oder zu
Verblödung führen kann. Daher vielleicht die sechsmonatige Beschäftigung mit
den Kirchenvätern, flüsterte ihr zynisches Ich, aber ihr besseres Ich fragte
nur: »Enzephalitis?«
Er biss in eine Garnele und sagte: »Ich war in den Bergen oberhalb
von Belluno wandern. Zwei Tage später entdeckte ich eine Zecke in meiner
Kniekehle, und eine Woche darauf lag ich mit vierzig Grad Fieber im
Krankenhaus.«
»Belluno?« Das lag nur zwei Stunden von Venedig entfernt, ein
schönes, aber völlig verschlafenes Städtchen.
»Ein weitverbreitetes Problem. Die Fälle häufen sich von Jahr zu
Jahr«, sagte er und fügte lächelnd hinzu: »Noch ein gutes Argument, in der
Stadt zu leben.«
Sie beschloss, ihn nicht nach den Kirchenvätern zu fragen. So
redeten sie weiter über unverfängliche Dinge, und dass Steffani oder
Königsmarck nicht mehr erwähnt wurden, war ihr mehr als recht. Wie angenehm,
ein paar Stunden in diesem Jahrhundert zu verbringen, in dieser Stadt und,
dachte sie, in dieser Gesellschaft.
Sie teilten sich einen in Salz gebackenen branzino, tranken fast eine Flasche Ribolla Gialla und verzichteten beide auf ein
Dessert. Als der Kaffee kam, wurde Andrea plötzlich ernst und sagte vollkommen
unvermittelt: »Ich fürchte, ich muss dir beichten, dass ich dir nicht ganz die
Wahrheit gesagt habe.«
Dazu fiel ihr nichts ein, und so schwieg sie.
»Über die Cousins.«
[226] Besser als über sich selbst, dachte Caterina, sagte aber nichts.
Falls er eine Lüge gestehen wollte, war sie nicht verpflichtet, es ihm
leichtzumachen; um irgendetwas zu tun, tat sie Zucker in ihren Kaffee und
rührte um.
»Die Geschichte, wie die Truhen hierhergelangt sind«, sagte er und
ballte eine Hand auf dem Tisch zur Faust.
»Aha«, gestattete sie sich zu sagen.
»Die beiden haben sie nicht selbst gefunden. Die Truhen sind
aufgetaucht, als jemand ein Inventar anlegte; der Forscher hat Steffanis Namen
darauf entdeckt und seine Nachkommen ausfindig gemacht.«
Er sah sie fragend an, aber Caterina machte weiter ein
teilnahmsloses
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