Himmlische Juwelen
Cristina plötzlich auf Deutsch sagte: »Ach du lieber Gott.«
»Was?«
»Willst du mal raten, wo er studiert hat?«
»Es wird mir bestimmt nicht gefallen, also sag schon«, drängte
Caterina.
»An der Universität von Navarra«, sagte Cristina.
»Novara?«, fragte Caterina und wunderte sich, was er im Piemont zu
suchen gehabt hatte.
»Navarra«, sagte Cristina und rollte übertrieben das R.
»Vade retro, satanas«, flüsterte Caterina.
»Vom selben Irren gegründet wie Opus Dei.« Zu spät fiel ihr ein, dass sie so
vielleicht nicht vor einer Frau reden sollte, die sich für ein Leben als Nonne
entschieden hatte.
»Die halten den Laden am Laufen. Ihre Absolventen haben überall die
Finger drin«, stimmte Cristina ein.
»Ich hätte nie gedacht…«, fing Caterina an, ließ es aber dabei. »Das
heißt, ich kann ihm kein Wort glauben«, stellte sie fest.
»Sieht ganz so aus.«
Über Avvocato Morettis Motive konnte Caterina später noch
nachdenken; trotzdem fragte sie: »Worauf mag er es abgesehen haben?«
[237] »Diesen Leuten geht es vor allem um Macht«, sagte Tina, und
Caterina, die denselben Verdacht hatte, fragte sich, ob sie allmählich schon an
Verfolgungswahn litten.
Sie hielt es nicht mehr aus. »Wenn du so denkst, Tina, warum bleibst
du dann immer noch dabei?« Ihre Schwester schwieg so lange, dass sie
schließlich sagte: »Entschuldige. Das geht mich nichts an.«
»Schon gut«, sagte Cristina tonlos.
»Tut mir wirklich leid, Tina-Lina.«
Das Schweigen zog sich so sehr in die Länge, dass Caterina
fürchtete, Cristina sei nun endgültig gekränkt. In ihrem Kopf formte sich etwas
wie ein Gebet, sie möge es sich nicht ein für alle Mal mit ihrer
Lieblingsschwester verdorben haben.
»Also«, sagte Cristina energisch. »Wir schreiben uns wie bisher,
ganz unbefangen. Und ich leite alles an dich weiter, was ich noch in Erfahrung
bringe.«
»In Ordnung«, sagte Caterina. »Aber…«
»Ich weiß, ich weiß: Wenn ich etwas herausbringe, wovon er nichts
wissen soll, schicke ich es… wohin?«
Caterina dachte angestrengt nach, wem sie vertrauen konnte. Ihre
Familie wollte sie auf keinen Fall da hineinziehen. Ihr E-Mail-Konto in Manchester
war nach ihrem Weggang gelöscht worden. Aber das brachte sie auf eine Idee.
»Hör zu, schick die Sachen an einen Freund von mir. Er liest seine Mails so gut
wie nie, und ich habe sein Passwort, so dass ich in jedem Internetcafé in seine
Post schauen kann.« Cristina war einverstanden, und Caterina diktierte ihr die
Mail-Adresse des Rumänen.
Zum Schluss mussten sie beide lachen, auch wenn sie nicht [238] wussten,
warum. Caterina sagte erleichtert gute Nacht, legte auf und ging zu Bett.
Am nächsten Morgen schickte sie als Erstes zwei Mails an Dottor
Moretti, als hätten sie beim Essen am Abend zuvor nicht schon genug besprochen.
In der ersten berichtete sie detailliert über Steffanis Briefwechsel mit Sophie
Charlotte und erklärte, sein ungezwungenes Verhältnis zu dieser Königin dürfte
seinen gesellschaftlichen Status aufgewertet haben und ihm direkt oder indirekt
bei seiner Arbeit als Komponist von Nutzen gewesen sein. In Anbetracht des
verständlichen Interesses ihrer Auftraggeber an baldigen Resultaten werde sie
ihre Bibliotheksbesuche für ein paar Tage aussetzen und mit den Papieren in den
Truhen weitermachen.
In der zweiten sprach sie ihn freundschaftlich mit »Andrea« an und
dankte für den angenehmen Abend: Sowohl die Unterhaltung mit ihm als auch die
Entdeckung eines guten Restaurants habe sie als sehr angenehm empfunden.
Sie überlegte sorgfältig, womit sie die Mail schließen sollte, und
entschied sich für » Cari saluti, Caterina«. Das war
freundlich, aber auch nicht mehr als das, und zeigte auf jeden Fall ein
weiterhin bestehendes gutes Verhältnis an.
Nach dem Duschen brach sie auf, trank unterwegs einen Kaffee und kam
kurz nach neun in der Stiftung an. Oben im Büro schloss sie den Tresor auf,
nahm das Päckchen heraus, mit dem sie noch nicht fertig war, und machte sich an
die Arbeit, für die sie, zumindest bis Ende des Monats, bezahlt wurde.
Als Erstes drei Dokumente in Deutsch: Berichte von [239] katholischen
Priestern, die in verschiedenen, von protestantischen Häusern beherrschten
Teilen Deutschlands zu missionieren versuchten. Mehr oder weniger sprachen sie
alle vom tiefen Glauben ihrer Gemeindemitglieder und der Notwendigkeit,
jeglichem politischen Widerstand zum Trotz stark zu bleiben. Alle baten
Steffani auf die eine
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