Himmlische Juwelen
Gesicht.
»Nachkommen«, sagte er. »Nicht Erben.«
Sie bezwang ihre Neugier und trank den Kaffee aus. Offenbar spürte
er, dass sie nicht vorhatte, ihm mit Fragen entgegenzukommen, also sagte er mit
einer Mischung aus Pedanterie und Rechtfertigung: »Sie haben keinen
Besitzanspruch. Du hast Jura studiert, musst es also selbst bemerkt haben: Die
Truhen fallen an den Staat zurück.«
Caterina wandte den Blick nicht von ihrer Kaffeetasse, hob den
Löffel leicht an und rührte in dem letzten Rest herum. Dann kratzte sie
sorgfältig die Mischung aus Zucker und Schaum zusammen und leckte den Löffel
ab, bevor sie ihn zurücklegte.
Jetzt sah sie auf und musterte ihn, sein reizendes, ebenfalls teures
Tweedjackett und die dezente Krawatte. Er schaute ihr ruhig in die Augen und
sagte: »Ich bitte um Verzeihung.«
»Warum hast du mir das verschwiegen?«, fragte sie, wobei sie bewusst
das Wort »Lüge« vermied.
[227] »Die beiden haben mich darum gebeten.«
»Und warum?«
Nun senkte er den Blick in seine leere Tasse, ließ aber den Löffel
liegen. Immer noch den Blick gesenkt, sagte er: »Sie wollten nicht erklären
müssen, wie die Truhen hierhergelangt sind. Wie das wirklich war, meine ich. Oder
vermute ich«, korrigierte er sich umständlich.
Sie mäßigte sich, so gut sie konnte: »Warum wollten sie denn, dass
das niemand erfährt?«
Er wollte schon mit den Achseln zucken, ließ es dann aber bleiben
und hob nur eine Schulter leicht an. »Ich nehme an, sie haben jemanden
bestochen, um an die Truhen heranzukommen.« Als sie ihn nur unverwandt ansah,
errötete er. »Ja, so muss es gewesen sein«, sagte er. »Das ist die einzige
Möglichkeit.«
»Den Forscher?«, fragte sie, obwohl ihr das ausgeschlossen erschien.
Er dürfte kaum zu entscheiden haben, wohin die Truhen gingen.
Andrea lächelte über die Frage. »Wohl kaum.«
»Ja wen denn sonst?«, stellte sie sich möglichst ahnungslos.
»Jemanden von der Propaganda Fide, schätze ich. Oder jemanden im
Depot.«
»Warum dann mich?«
»Wie meinst du das?«
»Warum mich? Warum Geld für einen Experten ausgeben, wo sie doch die
Truhen hatten und selbst nachsehen konnten, was drin ist?«
»Sie brauchten einen Experten«, sagte er und zählte die Argumente an
den Fingern ab. »Erstens war er Geistlicher [228] und arbeitete in Deutschland,
also brauchten sie jemanden, der mehrere Sprachen versteht.« Er hob den zweiten
Finger. »Außerdem sollte derjenige den historischen – womöglich gar den
musikalischen – Hintergrund interpretieren können.« Schon hob er den dritten
Finger.
»Das ist doch absurd«, fuhr sie dazwischen; sie war es leid, ihre
Rolle weiterzuspielen. »Wie gesagt: Warum haben sie die Truhen nicht einfach
aufgemacht, nach Partituren durchforstet, sich ein bisschen umgetan, was
Steffanis Handschriften auf dem Markt wert sind, und sie verkauft? Das Geld
aufgeteilt und irgendwen von der Uni angeheuert, der die übrigen Papiere liest?
Über kurz oder lang hätten sie herausgefunden, ob da irgendwo ein Schatz
versteckt ist oder nicht.«
Andrea streckte mit gequältem Lächeln eine Hand aus, als wolle er
sie ihr beschwichtigend auf den Arm legen, ließ es aber sein, als er ihre Miene
sah.
Er nahm seine Tasse, aber die war immer noch leer, also stellte er
sie zurück. »Es gab da… eine Uneinigkeit, könnte man sagen.«
»Unter Dieben?«
Ihre Direktheit machte ihm offensichtlich zu schaffen. Er überlegte
sich seine Antwort sehr genau: »Ja, so könnte man es nennen. Kaum waren die
Truhen hier, merkten sie, wie wenig sie einander trauen können.«
»Und dann fingen sie zu rechnen an«, sagte sie wütend.
»Ich kann dir nicht folgen«, behauptete er.
»Einen freiberuflichen Übersetzer hätten sie pro Seite oder pro
Stunde bezahlen müssen. Und das, ohne sicher zu sein, dass sich überhaupt etwas
Wertvolles finden würde.« [229] Während sie sich ereiferte, musste Caterina an das
alte Märchen von den drei Dieben und ihrer Beute denken. Der eine geht in die
Stadt, um Speis und Trank zu holen, damit sie nicht darben müssen, während sie
sich daranmachen, die Beute zu teilen. Kaum ist er gegangen, vereinbaren die
beiden anderen, ihn zu ermorden, und das tun sie auch, als er zurückkommt. Zur
Feier des Tages essen und trinken sie, doch der Tote hatte den Wein, den er
mitgebracht hatte, vergiftet, und so zahlen auch sie den Preis für den begehrten
Schatz.
Sie betrachtete ihn ungerührt.
»Jeder fürchtete, der andere werde ihn über den
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