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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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war, hätte er nicht einfach so
darauf verzichten können.«
    Caterina sah keinen Grund, warum sie Roseanna verschweigen sollte,
zu welchem Schluss sie gekommen war. »Möglicherweise war er ein Kastrat.« Sie
versuchte das objektiv zu sagen, war sich aber nicht sicher, ob ihr das
gelungen war. Bei einer solchen Entdeckung blieb man nicht neutral.
    »Oh, der arme Mann«, sagte Roseanna und schlug erschrocken die Hand
an die Wange. »Der arme Mann.«
    »Absolut sicher bin ich mir nicht«, sagte Caterina sofort. »Aber
einmal wird er als ›musico‹ bezeichnet, und so nannte
man diese Leute damals.«
    »Und die mussten dann zur Ehre Gottes im Kirchenchor singen«, sagte
Roseanna mit einer Ruhe, die den Sarkasmus ihrer Worte noch unterstrich.
    »Es gibt nur diesen einen Hinweis«, erklärte Caterina. Das
Haydn-Libretto führte zu weit.
    Sie schwiegen und wussten nicht, was sie dazu noch sagen sollten.
»Ich gehe dann mal nach oben«, meinte Caterina.
    Roseanna nickte, und als Caterina schon fast zur Tür hinaus war,
rief sie ihr nach: »Ich bin froh, dass sie dich engagiert haben.«
    [246]  Ohne sich umzudrehen, hob Caterina dankend die Rechte. »Ich
auch«, sagte sie und zog die Schlüssel aus der Tasche.
    Oben setzte sie sich und griff nach ihrem telefonino. Unterwegs hatte sie darüber nachgedacht, wie
gegen ihren Verfolger am besten vorzugehen war. Nun legte sie sich genau
zurecht, was sie sagen wollte. Sie hatte keinen Beweis dafür, dass es mit ihrer
Arbeit zusammenhing, wenn dieser Mann ihr vorsätzlich nachging und ihr
auflauerte, aber andere Erklärungen ergaben keinen Sinn. Natürlich hätte ihr
einer der vielen sonderbaren Männer in der Stadt nachschleichen können, wie es
ihr vor Jahren einmal passiert war. Aber dieser hier wusste, zu welcher
Anlegestelle sie ging, und das bedeutete, er kannte die Adresse ihrer Eltern,
und ihre auch. Oder es war blinder Zufall… eine Möglichkeit, die sie, kaum
erwogen, wieder verwarf.
    Sie versuchte sich einzureden, er sei ihr nur unangenehm gewesen,
weil sie auf die Situation so unvorbereitet war, aber dann dachte sie daran,
wie sie vor der Toilette gekniet und sich übergeben hatte, und gestand sich
ein, dass er sie in helle Panik versetzt hatte. Also gut, sie würde Claras Mann
anrufen, Sergio, der in Marcon, auf dem Festland, eine Fabrik besaß, die Bleche
herstellte.
    Sergio war mit elf Jahren Waise geworden; er hatte Clara nicht
zuletzt deshalb so gern geheiratet, weil sie ihm eine Familie zurückgab. Sie
hatte vier Schwestern, zwei davon mit Kindern, und Sergio hatte begeistert die
ganze Familie aufgenommen, er wurde zu dem großen Bruder, den sie nie gehabt
hatten, und übernahm die zahllosen Aufgaben und Pflichten, nach denen er sich
jahrelang gesehnt hatte.
    [247]  » Ciao, Caterina«, meldete er sich.
    »Sergio«, begann sie ohne Umschweife. »Ich habe ein Problem, und ich
denke, du bist der Richtige, um mir dabei zu helfen.« Sie wusste, wenn sie es
Sergio so darstellte, stillte sie nicht nur sein Verlangen, von der Familie
geliebt zu werden, sondern auch sein Bedürfnis, sich als nützlich zu erweisen.
    »Erzähl«, sagte er.
    »Neulich ist mir abends ein Mann gefolgt, von da, wo ich arbeite,
bis zum Campo Santa Maria Formosa. Ich war auf dem Weg zu mamma und papà «, ließ sie bewusst noch mehr Familie
einfließen, »und als ich nach Hause ging, wartete er an der Anlegestelle.«
    »Derselbe Mann?«, fragte Sergio.
    »Ja.«
    »Kennst du ihn?«
    »Nein. Aber ich weiß, wo er arbeitet. Ich habe ihn zufällig in einem
Geschäft in der Nähe des Markusdoms gesehen, hinter der Kasse.« Sie begann den
Mann zu beschreiben und staunte, dass sie sich nur an seine hellen, sehr kurzen
Haare erinnern konnte.
    »Und was soll ich tun?«
    Das war typisch Sergio: Keine Zeit damit zu verlieren, ob sie sich
auch wirklich sicher sei oder ob sie bedacht habe, welche Folgen es für ihn
haben könnte, sich da hineinziehen zu lassen. Blut war dicker als Wasser. Hätte
er seine Frage gestellt, als sie sich in die Toilette erbrach, hätte sie ihm
wahrscheinlich aufgetragen, dem Mann den Kopf abzureißen, aber mit dem
zeitlichen Abstand war das Bedrohliche aus der Situation entwichen wie Luft aus
einem Ballon.
    [248]  »Könntest du da mal vorbeigehen und ihn fragen, was das sollte?«
    »Möchtest du mitkommen?«
    Vor Jahrzehnten hatte Caterina einmal in der Schule den Spruch
»Rache genießt man am besten kalt« gehört und zu Hause ihrer Mutter erzählt,
wie klug sie das finde,

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