Himmlische Juwelen
wie seine wunderbaren Noten. »Man hört hier nicht auf, Sie
zu bewundern und anzuhören.« Sie streichelte das Blatt, dankbar, dass jemand
Steffani so freundliche Worte geschrieben hatte.
[251] Sie beackerte noch zwei Stunden die Zeugnisse eines geschäftigen
Lebens. Manche mochten nur zufällig in die Truhe geraten sein. Unter anderem
eine Reihe von Übertragungsurkunden, die sich auf die Äcker in Vedelago
bezogen; in allen waren die Namen Stievani und Scapinelli als Verkäufer
eingetragen. Ein rascher Blick auf eine Landkarte zeigte ihr, dass Vedelago
etwa zehn Kilometer östlich von Castelfranco lag, dem Geburtsort Steffanis.
Ebenfalls von den Vorfahren der Cousins unterzeichnet waren Verträge über den
Verkauf eines Hofs im selben Ort. Dann ein Brief Scapinellis vom 19. August
1725: Selbstverständlich werde Cousin Agostino seinen Anteil aus dem Verkauf
der Häuser bekommen, aber er sollte doch wissen, dass so etwas Zeit brauche.
Nur dieser eine Brief. Und dann war Schluss: Sie hatte alle Papiere aus der
ersten Truhe gelesen und nichts gefunden, was auch nur entfernt einer
testamentarischen Verfügung des Abbé Agostino Steffani glich, auch wenn die
Namen der beiden Familien auf pikante Weise Erwähnung fanden.
Sie ordnete die Papiere, verschnürte das Bündel und brachte es zum
Tresor. Dann legte sie die durchgearbeiteten Päckchen in der ursprünglichen
Reihenfolge in die Truhe zurück. Als sie die Truhe zugemacht hatte, spielte sie
kurz mit dem Gedanken, sofort mit der zweiten Truhe zu beginnen, hielt es dann
aber für angezeigt, lieber erst einmal über ihre unmittelbare Zukunft
nachzudenken.
[252] 25
Caterina war kein habgieriger Mensch; sie wollte keine
Reichtümer ansammeln, brauchte einfach nur genug, um auskömmlich zu leben.
Diese Einstellung mochte aus dem Gefühl der Sicherheit herrühren, das ein
glückliches Leben mit sich bringt: Ihre Familie hatte sie immer geliebt und
umsorgt, also nahm sie an, dass sie auch weiterhin geliebt und umsorgt werden
würde, unabhängig von ihrem Einkommen oder ihrem Kontostand. Sie wusste, viele
Leute konnten gar nicht genug Geld anhäufen, aber ihr fehlte es einfach an
Energie, es auch nur zu versuchen.
Viel wichtiger war für sie, fair behandelt zu werden. Man hatte ihr
einen Job zugesagt, dem zuliebe sie den relativ sicheren Arbeitsplatz in
Manchester aufgegeben hatte – wobei sie geflissentlich übersah, dass sie nach
diesem Vertrag wie nach einem rettenden Strohhalm gegriffen hatte, um von
Manchester wegzukommen, und den Vertrag so eifrig unterschrieben hatte, dass
sie dessen befristete Dauer übersehen hatte. Zwar hatte man ihr von Anfang an
gesagt, es gehe um eine zeitlich begrenzte Tätigkeit, doch sie hatte
angenommen, es handle sich um mehrere Monate. Nun blieb ihr noch bis Ende des
Monats, und sie konnte nicht einmal abschätzen, wie lange sie für die Lektüre
der restlichen Dokumente noch brauchen würde.
Sie machte den Computer an und sah nach ihren E-Mails. Eine Flatrate
für Ortsgespräche und Internet, nur 18 Euro pro Monat, ein Smartphone,
praktisch umsonst, und eine Mail [253] von Tina. Sie löschte die ersten beiden und
öffnete die dritte, neugierig, wie ihr Telefonat von letzter Nacht und die
Enthüllung, dass die Mails gelesen wurden, sich auf Tinas Formulierungen
ausgewirkt hatten.
»Liebe Cati, wie Du Dir denken kannst, ist mangels neuer
Informationen oder Fragen das Interesse meiner Freunde an Steffani erlahmt.
Selbst mein Freund in Konstanz lässt nichts mehr von sich hören, also bist Du
wohl auf Dich gestellt. Man hat mich an meinen Abgabetermin erinnert, ich muss
in die Gegenwart zurück, aber sei unbesorgt, ich stürze mich gern wieder in die
Vergangenheit, wenn Du mir genauer sagen kannst, wonach ich suchen soll. Du
brauchst mir nicht einmal zu sagen, warum.
Möglicherweise gibt es in der Marciana Konvolute mit Dokumenten und
Briefen aus dem Musikleben der Zeit; darin pflegen Bibliothekare Einzelstücke
unterzubringen, wie wir einzelne Socken in eine Schublade stopfen und sie dort
vergessen. Frag doch mal nach.
Darüber hinaus kann ich Dir nicht weiterhelfen und nur hoffen, Du
deckst noch mehr finstere Fälle von Wollust, Ehebruch und Mord auf, was
jedenfalls sehr viel interessanter ist als meine langweiligen Untersuchungen
zur Außenpolitik des Vatikans. Alles Liebe, Tina-Lina.«
Ein äußerst harmloser Versuch, harmlos zu klingen, aber vielleicht
wirkte er ja gerade dadurch überzeugend auf etwaige heimliche
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