Himmlische Juwelen
Mitleser.
Caterina antwortete: »Liebe Tina, ja, nach der aufregenden
Königsmarck-Affäre ist es in der Tat recht still geworden. Steffanis Leben gibt
eben nicht viel her, fürchte ich.
Immerhin bin ich heute auf Dokumente gestoßen, denen [254] zufolge er
sowie Mitglieder der Familien Stievani und Scapinelli am Verkauf einiger
Bauernhöfe in der Nähe von Castelfranco beteiligt waren, und morgen will ich
versuchen, mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Jetzt bin ich zu müde: Nachdem
ich den lieben langen Tag Dokumente in Latein und Deutsch und Italienisch
gelesen habe, bringe ich keinen klaren Gedanken mehr zustande. Ich möchte mich
nur noch aufs Sofa legen und fernsehen, zum Beispiel Wiederholungen von Die außerirdischen Besucher kommen. Weißt Du noch, wie wir
davon geschwärmt haben? Du liebe Zeit, das muss fünfundzwanzig Jahre her sein,
und ich sehe das immer noch vor mir, wie diese Riesenechsen die Menschen
verschlingen wie Mäuse. Das würde ich mir heute Abend zu gern ansehen, mich in
so einen Besucher hineinversetzen und ein paar Leute
verschlingen.« Sie las ihre Mail noch einmal durch und löschte den letzten
Satz. Auch wenn sie nicht genau wusste, warum, sie wollte einfach nur erschöpft
von ihrer Recherche und gelangweilt auf Dottor Moretti wirken.
Dann schrieb sie weiter: »Meinst Du, die haben die Idee bei Dante
geklaut? Das frage ich mich schon seit langem.
Mit dieser offenen Frage gehe ich jetzt nach Hause – in eine Wohnung
ohne Fernseher und folglich auch ohne Besucher –,
esse etwas und lege mich mit dem Espresso ins Bett,
der mir diese Woche Enthüllungen über das Müllproblem in Neapel und die Risiken
von Brustimplantaten verheißt. Oder ich lese die Steffani-Biographie zu Ende –
der sich immerhin über derlei noch keine Sorgen machen musste. Alles Liebe,
Cati.«
Sie ging auf die Seite der Universität Manchester und öffnete das
E-Mail-Konto des Rumänen, wobei sie ihn [255] flüsternd um Verzeihung bat, weil
sie in seine Privatsphäre eindrang, in sein Leben, womöglich in seine
Geheimnisse. Als sie sah, dass er einhundertzwölf ungelesene Mails hatte,
lächelte sie und nahm das Gebet zurück. Sie brachte die Absender in
alphabetische Reihenfolge, stellte fest, dass von Cristina nichts dabei war,
sortierte alles wieder nach Empfangsdatum und klickte, stolz auf ihre
Willenskraft, die Seite weg, ohne nach den Namen der Absender geschielt zu
haben.
Danach schrieb sie Dottor Moretti, sie gehe den Landverkäufen bei
Castelfranco nach, an denen Steffani und seine zwei Cousins beteiligt gewesen
seien. Vielleicht könne sie durch weitere Nachforschungen in dieser Sache
herausfinden, ob Steffani die eine oder die andere Linie bevorzugt habe.
Sie klickte auf »Senden«, hatte schon beinahe Spaß an diesen
James-Bond-Methoden, schloss alles ab und ging nach Hause.
Die Suche nach alten Urkunden zu den Landverkäufen kostete sie
zwei Tage. Sie machte das von der Stiftung aus, weil sie nicht in der Wohnung
zum Einsiedler werden wollte. Den Tresor, in dem die Truhen standen, rührte sie
die ganze Zeit nicht an. Als Erstes sah sie in den Verzeichnissen des Ufficio
Catasto von Castelfranco nach, wo die Besitzurkunden registriert worden waren;
dann suchte sie in Treviso, der Provinzhauptstadt. Auf der Internetseite des
Katasteramts wurde behauptet, alle vorhandenen Aufzeichnungen aus dem
achtzehnten Jahrhundert stünden online zur Verfügung, aber als sie dort anrief
und erklärte, besagte Aufzeichnungen seien nicht auffindbar, konnte ihr niemand [256] weiterhelfen. Die zuständige Beamtin in Treviso wiederum konnte zwar die
entsprechenden Dateinamen nennen, aber nicht sagen, in welchem übergeordneten
Ordner sie zu finden seien.
Am Ende tat Caterina das, was sie von Anfang an hätte tun sollen,
und gab in die Suchmaske der Landverkäufe in der Provinz Treviso die drei Namen
ein. Als eine schier endlose Liste mit Daten aus den letzten Jahren erschien,
schränkte sie die Suche auf Steffanis letzte zwanzig Lebensjahre ein, was die
Liste erheblich verkürzte.
Nachdem sie sich fast zwei geschlagene Tage lang durch diese Liste
gekämpft hatte, stand fest, dass zwar einige Jahre in den Verzeichnissen
fehlten, in den Jahren jedoch, die einsehbar waren, die beiden Familien
unzählige Grundstücke geerbt, verkauft, gekauft, beliehen und verloren hatten.
Aus Formulierungen wie »mein geliebter Sohn Leonardo« oder »der Mann der
zweiten Tochter meiner über alles geliebten Schwester Maria
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