Himmlische Leidenschaft
Mann, der den Eingang des Canyons beobachtet.«
»Wie nahe ist er?«
»Außer Schußweite«, erklärte Case.
Sie hob den Kopf und reckte schnüffelnd die Nase in die Luft, um wie ein wildes Tier den Wind zu prüfen. Dann lächelte sie, doch es war eher ein Zähnefletschen als ein Zeichen der Belustigung.
»Sie werden da unten höllisch frieren«, sagte sie. »Die Stürme fegen mit eisiger Kraft um den Eingang des Canyons.«
»Weiter oben, entlang der Südseite des Canyons, sind ein paar Ruinen«, erklärte Case. »Allerdings nicht der Rede wert.« »Können wir von hier aus zu den Ruinen hinaufgelangen?«
»Es wird nicht leicht sein.«
»Aber wir können es schaffen?«
Er seufzte. »Ja.«
Eifrig ging Sarah zu einem der Packpferde und band die Schaufel los.
»Worauf wartest du denn noch?« fragte sie ungeduldig.
»Bist du sicher, daß du nicht lieber ...«
»Ja«, unterbrach sie ihn schroff. »Ich bin mir sicher.«
»Pest und Hölle.«
Er trat an seinen Sattel und löste zwei zusammengerollte Decken aus ihrer Verschnürung. Mit ein paar schnellen, geschickten Schnitten seines Messers verwandelte er sie in dicke Wollponchos.
»Zieh dies hier über deine Jacke«, sagte er und hielt Sarah einen der Ponchos hin.
»Aber ...«
»Tu es, ohne zu widersprechen. Nur so zum Spaß. Wenigstens dieses eine Mal.«
Mit einem raschen, energischen Handgriff zog er den Poncho über ihren Hut, noch bevor sie erneut protestieren konnte. Ihrer beider Atem vermischte sich, als Case sich vorbeugte und den Poncho zurechtzog.
Er hing bis über ihre Knie herab.
Er war mollig warm.
»Danke«, murmelte sie.
»Bitte«, erwiderte er spöttisch.
»Es ist wirklich erstaunlich, wie mir jemand sagen kann, ich soll mich zum Teufel scheren, ohne die Worte tatsächlich jemals auszusprechen.«
»Was ist daran erstaunlich? Du schaffst das mit einem Blick.«
Damit zog Case brüsk seinen eigenen Poncho über seine Jacke, schnappte sich die Schaufel und marschierte zum zweiten Mal auf den Geröllhaufen zu.
Sarah folgte ihm dicht auf den Fersen.
Schnee begann zu fallen. Die ersten Flocken waren weich und hauchzart, wirbelten wie Apfelblüten im Wind. Wenig später frischte der Wind auf. Die Flocken fielen dichter und schneller, kleideten die Landschaft in eine saubere, weiße Stille.
»Wir sollten umkehren«, sagte Case, sobald er die Kuppe des Hügels erreicht hatte.
»Wozu? Nur Regenfälle sind in diesen Canyons gefährlich.«
»Was, wenn sich Schneewehen auftürmen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht hier. Vielleicht weiter oben im Hochland.«
»Was ist mit Erfrieren?« fragte er sarkastisch.
»Es ist jetzt wärmer als vorhin, bevor es zu schneien angefangen hat.«
»Verflucht«, murmelte er.
»Zumindest brauchen wir uns keine Sorgen wegen eines Hinterhalts zu machen«, erklärte sie sachlich. »Bei dem Schneegestöber kann man nicht mehr als sechs Meter weit sehen.«
»Wir sind dir dankbar, Herr, für diese kleine Gnade. Amen.«
Case machte auf dem Absatz kehrt und blickte wieder zur Südseite des Canyons hinauf. Obwohl der fallende Schnee die meisten Orientierungspunkte verdeckte, erinnerte sich Case noch daran, wie die Wand durch sein Fernrohr ausgesehen hatte.
»Komm mir nicht in die Quere«, sagte er. »Wenn ich stürze, will ich dich nicht mit in die Tiefe reißen.«
»Tut dein Bein weh?« fragte sie besorgt.
Nein, aber mein verdammter Schwengel schmerzt, dachte er.
Und zwar höllisch.
Er konnte noch immer die Hitze ihres Atems schmecken, als er sich über sie gebeugt hatte, um den Poncho zurechtzuziehen. Wie ihr Duft, ihre Bewegungen, ihre simple Gegenwart, so quälte und verfolgte ihn das Wissen um ihre verführerische Wärme.
»Geh mir einfach aus dem Weg«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Zwanzig Minuten später zog er sich über ein brusthohes Steinsims hinauf. Der Felsvorsprung, den er gefunden hatte, war weniger als zwei Meter tief. Der Überhang bot einem Mann kaum genug Platz, um aufrecht zu sitzen.
Eher eine Spalte als ein Alkoven, lief der Vorsprung ungefähr sechs
Meter weit an der Wand entlang, bevor er sich zu einer Felsnase verjüngte. Irgendwann einmal war die Nase ein hoher, roter Pfeiler aus Fels gewesen, aber Frost und Wasser hatten sich durch das weichere, porösere Gestein am Fuß gefressen und die Säule schließlich in den Canyon hinunterstürzen lassen. Es war unmöglich zu erkennen, ob der Pfeiler am Tag zuvor oder vor tausend Jahren zusammengebrochen
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