Himmlische Leidenschaft
sagte Sarah nach einer Weile. »Hier ist keine rote Felssäule in der Nähe. Ich dachte, daß sie vielleicht bei der letzten großen Überschwemmung vor ein paar Jahren eingestürzt wäre.«
»In dem Jahr, als dein Ehemann starb?«
»Ja«, flüsterte sie. »Hal hat Conner damals erzählt, daß er das Silber niemals finden würde, bis die Alten zurückkehrten und ihre Verstecke öffneten und der rote Felsfinger den Weg weisen würde.«
»Hat Hal oft mit Conner über seine Schatzsuche gesprochen?«
»Er hat nur ein einziges Mal davon gesprochen«, erwiderte sie. »Als er im Sterben lag. Er hat Conner immer nur schikaniert und gequält.«
Hal hat ihn einmal zu oft gequält, dachte Case.
Aber er sagte es nicht laut, denn er hatte Conner versprochen, Stillschweigen über den Vorfall zu bewahren.
»Ist dies der Canyon, wo es passiert ist?« fragte er nach einer Pause.
»Ich glaube, ja. Nach dem, was ich gesehen habe, als ich neulich Holz gesammelt habe ...« Ihre Stimme erstarb.
Case blickte Sarah scharf an. Sie merkte es nicht. Sie starrte in das Schneetreiben hinaus mit Augen, die nur die Vergangenheit sahen.
Plötzlich schauderte sie.
»Das Silber der Toten«, flüsterte sie. »Genau wie du gesagt hast. Ich würde es niemals anrühren, wenn es nicht für meinen Bruder wäre.«
Mehrere Atemzüge lang blickte Case in den Schnee hinaus, während er an den riesigen Berg von Fluttrümmern dachte, den sie hatten erklettern müssen, um zu den unbedeutenden Ruinen zu gelangen. Die Säulen aus rotem Granit, die sich überall in dem wilden Land in den Himmel reckten, sahen wie für die Ewigkeit geschaffen aus, aber er hatte in mehr als einem Canyon Beweise dafür entdeckt, daß selbst Stein im Laufe der Zeit zerfiel.
»Wie weit erstrecken sich die Ruinen in die Felswand hinein?« fragte er und spähte angestrengt in die Dunkelheit.
»Das weiß ich nicht. Ungefähr zwei Meter vor mir liegt eine Menge Geröll.«
»Kann ich mal sehen?«
Wortlos preßte sie sich gegen den massiven Fels, der die Rückwand des Spalts bildete.
Es war gerade genug Platz für Case, um sich an ihr vorbeizuzwängen. Er legte die Schaufel beiseite und kroch vorwärts. Als er sich bewegte, verfing sich sein Poncho an den scharfkantigen Überresten der Mauer und löste einen rechteckigen Stein aus dem Gefüge.
Der Felsbrocken rollte polternd aus dem Spalt heraus, stürzte über den Rand und verschwand in dem dicht fallenden Schnee. Nach den Geräuschen zu urteilen, die aus der Tiefe heraufhallten, prallte der Stein mehrmals von der steilen Seite des Canyons ab, schlug dann auf dem Geröllhügel auf und bewegte sich nicht mehr.
Schnee dämpfte jedes Echo mit Stille.
Case zündete ein Streichholz an und spähte in die Dunkelheit knapp jenseits der unruhig flackernden Flamme. Irgendwann einmal war der Boden von Menschen geglättet worden, die schon lange in ihren Gräbern ruhten. Jetzt lag er wieder unter zerbrochenen Felsbrocken begraben.
Schweigend schätzte Case die Höhe der Ruinen ab, die Tiefe des Felsspalts und die Größe des Steinhaufens, der ihm den Weg versperrte. Irgend etwas stimmte nicht so ganz, aber er konnte nicht entscheiden, was das war.
Das Streichholz verlöschte.
Er schob sich noch ein Stück vorwärts, bis ihn die natürliche Felswand auf der einen Seite einengte und die von Menschenhand erbaute Mauer auf der anderen und das Geröll eine massive Barriere vor ihm bildete.
Zuviel Schutt, dachte Case, als er begriff, was ihm so unstimmig daran vorgekommen war.
Die eingefallene Wand war nicht hoch oder breit genug, um den enormen Haufen von Steinen zu erklären. Selbst wenn das flackernde Licht des Streichholzes seine Augen getäuscht hatte, wäre der größte Teil der Steine, die aus den Ruinen bröckelten, in den Canyon hinuntergerollt und verschwunden, so wie der eine, den er versehentlich aus der Mauer herausgerissen hatte.
Es könnte ein kleiner, enger Raum zur Aufbewahrung und Lagerung gewesen sein, überlegte er. Wenn die Konstruktion in sich zusammengefallen ist, würde das die Menge der Steine erklären.
Er zündete noch ein Streichholz an und betrachtete den Steinhügel prüfend. Er reichte nicht ganz bis zu der niedrigen Decke. Ganz oben mochte vielleicht gerade noch genügend Platz sein, so daß man hinüberschauen und sehen konnte, was sich auf der anderen Seite befand.
Das zweite Streichholz verlöschte.
»Siehst du irgend etwas?« fragte Sarah, aber in ihrer Stimme schwang keine echte Hoffnung
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