Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
vergessen?
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Freitag, 27. August
Und noch eine Nacht ohne Antworten. Die Karten meiner Mutter helfen mir kein bisschen weiter. Ich habe für die Kinder heiße Schokolade gemacht und selbst, aus Armandes Becher, auch welche getrunken. Cremig, gehaltvoll und sehr süß. Ach, wäre Armande doch hier! Ich kann ihre Stimme hören. Wenn der Himmel nur halb so gut ist wie das hier, dann entsage ich ab morgen der Sünde. Die gute Armande. Sie würde sich königlich amüsieren, wenn sie sehen könnte, wie ich mich um Francis Reynaud sorge.
Er kann auf sich selbst aufpassen, würde sie sagen. Lass ihn ziehen. Das tut ihm gut. Und dennoch schreit mein Instinkt, dass Reynaud in Schwierigkeiten steckt. Ich dachte, ich müsste Inès Bencharki retten, aber ich habe in die falsche Richtung gedacht. Es geht um Reynaud. Von Anfang an ging es um Reynaud.
Wie hat Armande es in ihrem Brief formuliert? Früher oder später braucht Lansquenet Dich wieder. Ich kann mich allerdings nicht darauf verlassen, dass der gute curé Dir Bescheid sagt, wenn es so weit ist.
Stimmt. Männer wie Reynaud bitten nie um etwas, vertrauen nie auf andere. Hat er versucht, Inès zu helfen? Ist er vom Skorpion gestochen worden?
Père Henri hat ihn als vermisst gemeldet, aber bisher war die Polizei wenig hilfreich. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Monsieur le Curé etwas angetan wurde. War es nicht sogar Père Henri, der ihm vorgeschlagen hat, sich beurlauben zu lassen? Und was das Gerücht angeht, dass Reynaud verschwunden ist, weil neue Beweise zum Brand in der alten Chocolaterie aufgetaucht sind – das erhärtet sich nicht. Zu Caros großem Bedauern.
Ich schaute bei der Kirche vorbei. Sie war leer. Nur ein Stapel neuer Stühle und ein paar Gläubige, die sich vor dem Beichtstuhl niedergelassen hatten. Ich erkannte Charles Lévy und Henriette Moisson. Suchten sie ebenfalls nach unserem verschwundenen curé?
»Er kann gar nicht weg sein«, sagte Charles, als ich ihn fragte. »Er würde uns nicht verlassen. Wo soll er denn hingehen? Und wer kümmert sich um seinen Garten?«
Henriette Moisson gab ihm recht. »Außerdem muss er die Beichte abnehmen. Das hat er seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Dem anderen da will ich nichts sagen – diesem Perversling, der sich in der Kirche versteckt. Ein ganz zwielichtiger Typ.«
»Das ist Père Henri Lemaître«, erklärte Charles.
»Weiß ich doch«, gab Henriette zurück.
Charles seufzte. »Sie ist völlig durcheinander. Ich bringe sie lieber nach Hause.« Lächelnd wandte er sich Henriette zu. »Kommen Sie, Madame Moisson«, sagte er. »Wir bringen Sie nach Hause. Tati wartet schon.«
Auch bei Joséphine gab’s keine Neuigkeiten. Im Café traf ich nur Paul-Marie an. Er war bleich und unrasiert und sah überhaupt erbärmlich aus, aber gleichzeitig schien er irgendwie zu triumphieren.
»Oh, hurra, die Kavallerie! Gekommen, um die Welt zu retten? Um die Kranken zu heilen? Die Lahmen zum Gehen zu bringen? Oh, Moment mal …« Er grinste bitter. »Ich glaube, deine Superkräfte schwächeln ein bisschen. Soweit ich sehe, leben wir immer noch in einer Scheißwelt.«
»Ich habe nie behauptet, dass ich übernatürliche Kräfte habe«, sagte ich.
Er lachte laut auf. »Soll das heißen, es gibt Dinge, die du nicht hinkriegst? Wenn man dieser Schlampe, mit der ich verheiratet bin, Glauben schenkt, dann kannst du übers Wasser gehen. Und was ihr Balg betrifft …«
»Pilou.«
»Also, der hält dich für eine Kreuzung aus Mary Poppins und der Zuckerfee. Magische Pralinen, unsichtbare Haustiere, alles im Angebot, stimmt’s? Was kommt als Nächstes? Ein Mittel gegen Aids? Mir würden schon zwei ordentliche Beine genügen, ach ja, und vielleicht noch ein Blowjob.«
»Pilou hat eine lebhafte Phantasie«, sagte ich. »Wahrscheinlich haben er und Maya und Rosette irgendein Spiel gespielt.«
Paul-Marie verzog das Gesicht. »So nennt man das heutzutage? Phantasie? Den ganzen Tag mit zwei kleinen Heulsusen am Fluss spielen? Meinetwegen, nennen wir es Phantasie. Ich finde, er braucht mal ein paar anständige Freunde. Und damit meine ich Jungs, echte französische Jungs, nicht dieses Gesindel aus Les Marauds.«
Ich ging ihm nicht auf den Leim. Paul Muscat provoziert für sein Leben gern. Ich fragte nur, ob er Joséphine gesehen habe.
Er zuckte die Achseln. »Sie ist heute Morgen mit dem Auto los. Ich vermute mal, dass sie nach dem Boot sucht. Tja, da wünsche ich ihr viel Glück. Angeblich haben die Zigeuner es
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