Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
braucht.«
Wieder zuckte er die Achseln. »Irgendjemand braucht immer Hilfe.«
»Wie meinst du das?«
Er schaute mich an. Seine Augen waren grün wie Gras. »Vielleicht ist es ja genau umgekehrt, und du brauchst Lansquenet.«
Da irrt er sich selbstverständlich. Ich brauche Lansquenet nicht. Aber seine Worte haben etwas in mir geöffnet, eine geheime Kammer, voller Sehnsucht und Schmerz. Warum mache ich das alles? Warum antworte ich auf den Ruf des Windes? Werde ich diese Ruhelosigkeit denn nie ablegen können?
Nein, ich weine nicht. Ich weine nie.
Wir saßen nebeneinander auf dem Deck. Ich fand die Stelle an seiner Schulter, an die mein Kopf genau passt. Wir schwiegen lange, horchten auf das Zirpen der Grillen und das Quaken der Frösche im Schilf. Dann schlichen wir leise und wortlos in den schützenden Schatten der Bäume und liebten uns im Mondschein, umgeben vom Duft der grünen, feuchten Erde, eingehüllt in die Nacht. Seltsam, wie man sich an die vertrauten kleinen Handlungen gewöhnt. Dabei haben wir nicht mehr so im Freien miteinander geschlafen, seit wir von hier weggegangen sind.
Danach schlenderten wir zurück zum Flussboot, wo Anouk und Rosette friedlich schliefen. Roux holte Wolldecken, und dann lagen wir auf dem Deck und schauten empor zur Milchstraße, die sich drehte wie ein riesiges Feuerrad.
Ich konnte lang nicht einschlafen. Es war alles jetzt nächtlich still. Selbst die Frösche schwiegen, und über dem Tannes lag Nebel, ein weißer Schimmer. Ich stand auf, setzte mich ans Feuer und beobachtete, wie der dunkle Himmel verblasste. Roux hat nie Probleme mit dem Schlaf, so wie er nie weiß, wie spät es ist oder welchen Wochentag wir haben. Wenn er eine Tarotkarte wäre, dann sicher der Narr, der pfeifend zum Himmel hinaufblickt, die Schnürsenkel nicht gebunden, blind für alle Hindernisse. Der Narr, der immer die Wahrheit sagt – manchmal auch, ohne es zu wissen.
Aber trotzdem irrt er sich, oder? Ich habe Lansquenet nie gebraucht. Ich mag dieses Dorf irgendwie, aber ich gehöre nicht hierher. Wie auch? Ich bin ein freier Geist. Ich bin zu weit gereist, habe zu viel gesehen, um an einen so kleinen Ort zu passen. Lansquenet-sous-Tannes. Wie absurd. Zu denken, dass ein so winziges, engstirniges Städtchen mein Herz festhalten will. Was soll das? Lansquenet ist eine Ortschaft wie viele andere hier am Tannes und längst nicht so attraktiv wie Pont-le-Saôul, nicht so historisch bedeutungsvoll wie Nérac. Ja, klar, hier leben Erinnerungen, aber das gilt genauso für Paris und Nantes und hundert andere Städte, hundert andere Gemeinden. Ich bin ihnen allen nichts schuldig. Wenn sie rufen, höre ich sie nicht. Warum sollte es bei Lansquenet anders sein? Ich bin doch immer noch ein freier Geist. Oder bin ich doch nur ein Bündel Steppengras, das vom Wind irgendwohin gerollt wird?
Als der Morgen dämmerte, ging ich zurück auf das Deck und versuchte noch einmal einzuschlafen. Irgendwie muss es geklappt haben, denn als ich aufwachte, schien die Sonne. Roux war nicht mehr da, die Kinder rumorten verschlafen in der Kabine, und der Wind hatte sich wieder gedreht.
3
Samstag, 28. August
Gestern Abend ist die Frau in Schwarz noch mal gekommen. Diesmal brachte sie eine kleine Flasche mit Pfefferminztee und ein paar Scheiben kalten Lammbraten, in eine Art Pfannkuchen gewickelt. Ich hatte mir fest vorgenommen, sie nicht anzubetteln, weil das unwürdig wäre, also nahm ich das Essen schweigend entgegen und schaute die Frau nur an, vom Fuß der Treppe aus. Die Stufen sind jetzt überschwemmt, bis auf zwei, das heißt, ich stand mehr als knietief im Wasser.
Das schien sie zu beunruhigen. »Das Wasser steigt nicht mehr«, sagte sie. »Heute hat es den ganzen Tag nicht geregnet.«
Ich zuckte nur stumm die Achseln.
»Ist alles in Ordnung? Sie sehen schlecht aus.«
Ich fühlte mich tatsächlich hundeelend, père. Seit ich hier bin, habe ich die durchnässten Sachen nicht gewechselt, und im Wasser tummeln sich bestimmt Gott weiß was für Bakterien. Ich fürchte, dass ich Fieber habe. Ich zittere, und meine Hand tut immer noch weh.
»Mir geht es gut«, erwiderte ich. »Es gefällt mir hier.«
Sie musterte mich durch den Schlitz in ihrem Schleier. »Vianne hat mir von Ihnen erzählt. Dass Sie Alyssa gerettet haben, als sie in den Fluss gesprungen ist. Und dass Sie nichts verraten haben.«
Wieder zuckte ich die Achseln.
»Aber warum haben Sie versucht, Inès’ Schule abzubrennen? Und warum wollten Sie
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