Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
stimmt natürlich: Mit Roux reden die Leute. Er hat etwas Vertrauenerweckendes. Kinder, Tiere, Menschen in Not – wie der Rattenfänger zieht Roux sie alle an. Und gleichzeitig wirkt er irgendwie unnahbar. Er hat eine tiefe, stille Zurückhaltung und weigert sich, über irgendetwas zu sprechen, was mit der Vergangenheit zu tun hat, oder sich irgendwie zu rechtfertigen, ganz egal, unter welchen Umständen. Deshalb wollte er nicht über Joséphine reden, er wollte nicht einmal erwähnen, dass sie einen Sohn hat, obwohl er gewusst haben muss, dass durch dieses Schweigen der Eindruck entsteht, er hätte etwas ausgefressen.
Aber auf dem Fluss ist dieses Verhalten gestattet. Da stellt niemand viele Fragen. Freundschaften werden geschlossen auf der Grundlage eines geborgten halben Benzinkanisters. Der Fluss kennt nur die Gegenwart, die Vergangenheit bleibt am Ufer zurück. Namen sind meistens Spitznamen, niemand hat Papiere. Vorstrafenregister, alte Fehltritte, kaputte Familien – all das zählt nicht. Das Leben ist simpel und unbeschwert.
Ich blickte wieder zu Joséphine. Sie wirkte irgendwie besorgt, ihre Farben waren furchtsam und schwach. Vielleicht, weil sie Roux wiedergesehen hat, dachte ich mit leisem Unbehagen. Aber der Gedanke passte nicht. Viel wahrscheinlicher war, dass sie sich Sorgen um Reynaud machte.
Und was Roux betrifft: Ein paar Tage auf dem Fluss, und schon ist etwas in ihm wieder aufgewacht. Ich kann es gar nicht genau benennen, es ist ein Leuchten, das ich schon so lang nicht mehr an ihm gesehen habe, dass ich sein Fehlen gar nicht mehr bemerkt habe. Ein Hausboot, das immer am selben Platz liegt, ist nicht das Gleiche wie ein Flussboot, man muss sich an Regeln halten, Gebühren bezahlen, und die Leute, die in Paris auf dem Fluss leben, sind ganz anders als die Flussratten. Hier, auf dem Tannes, ist Roux wieder frei. Und die Veränderung ist umso verblüffender, weil er selbst sie gar nicht bemerkt.
»Wo sind Inès und Du’a jetzt?«
»Ich habe sie mit dem Auto hierhergebracht«, sagte Joséphine. »Roux hat mich angerufen. Ich nehme an, sie sind zu Hause.«
»Hast du nicht gesehen, wo sie hingegangen sind?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ist das wichtig?«
Anouk wurde immer ungeduldiger. »Maman!«, rief sie schließlich. »Jean-Loup hat mir eine SMS geschickt.«
Ich nahm sie in den Arm. »Wie schön! Bestimmt wird alles gut.«
»Und es gibt Kartoffeln!«
»Kartoffeln?«
Roux zeigte auf das Feuer. »Diese Kartoffeln hier habe ich gefunden, sie wachsen wild überall am Ufer. Probier mal eine, Vianne. Sie schmecken echt gut.«
Mit einem spitzen Stock spießte ich eine der gebratenen Kartoffeln auf. Unter der verkohlten Schale verbarg sich eine wunderbare Delikatesse, mehlig und süß. Die anderen bedienten sich ebenfalls, und wir aßen gemeinsam auf Deck. Joséphine und ich erzählten Roux abwechselnd von Reynaud und Inès und Alyssa. Und überhaupt alles, was passiert ist, seit wir drei hierhergekommen sind.
Das dauerte eine ganze Weile. Anschließend ging Joséphine heim, um nach Pilou zu sehen. Rosette und Anouk schliefen bereits in der Kabine, und wir waren allein.
Der Mond ging schon unter, und auf dem Fluss tummelten sich unzählige Mücken. Roux warf ein paar trockene Holzspäne in die Glut, und sofort stieg ein würziger Geruch auf, Zitronengras und Lavendel, Salbei und Tanne, Apfelholz und Pinie, wie bei den Lagerfeuern meiner Kindheit.
Ich sagte: »Sie hat mir von Pilou erzählt. Und dass sie Paul-Marie nichts gesagt hat.«
»Oh.« Von seinen Augen konnte ich nichts ablesen.
»Es tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«
Ich wusste nicht, wie ich es formulieren sollte. Es tut mir leid, dass ich gedacht habe, du hättest mich angelogen. Dass ich gedacht habe, du hättest ein blödes Doppelleben geführt und deine Offenheit wäre die ganze Zeit nur gespielt gewesen.
Ich zuckte die Achseln. »Es ist nicht mehr wichtig. Du hast mir gefehlt, Roux. Wir haben dich alle sehr vermisst.«
Er nahm meine Hand. »Warum fahren wir nicht nach Hause?« Wieder die Frage in seinen Augen. »Vianne, du lebst nicht mehr hier. Du machst nur Ferien. Und trotzdem bist du wieder mittendrin, du machst die gleichen Dinge wie damals und bist in alles verwickelt.«
»Willst du damit sagen, ich soll mich nicht einbringen?«
Stumm zuckte er die Achseln.
»Aber Armande hat mich hierhergeschickt. Sie hat mir ja nicht ohne Grund geschrieben. Und sie hat ausdrücklich gesagt, dass jemand meine Hilfe
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