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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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sie in die Büsche. Die Abendluft war ebenfalls abgekühlt. Ich stand auf und wollte wieder ins Haus gehen. Doch dann sah ich etwas an Armandes Baum. Offenbar haben wir ihn übersehen, als wir vergangene Woche die letzten Früchte geerntet haben: einen perfekten Pfirsich, gerade richtig reif und erstaunlicherweise ganz ohne Makel.
    Ich pflückte ihn. Erst duftete er nur schwach, aber in meinen warmen Händen erwachte das Aroma. Ich brach ihn auf und probierte ihn. Am Ende des Sommers haben Pfirsiche oft nur wenig Geschmack und sind wässrig, aber dieser war immer noch gut, immer noch süß, und vom Regen schmeckte er sogar ein bisschen nach Moschus.
    Armande hatte recht: Gutes Obst darf man nicht verderben lassen. Ich sollte den Pfirsichkern auf ihr Grab pflanzen, das würde ihr gefallen. An der Friedhofsmauer ist genug Platz, und im Sommer werden sich die Kinder hinschleichen und die Pfirsiche klauen, das würde ihr bestimmt auch gefallen. Ich steckte den Stein in die Tasche. Auf der anderen Seite von Les Marauds konnte ich noch mehr Boote eintreffen sehen. Die bunten Laternen am Bug malten leuchtende Muster ins Wasser. Warum so viele? Wieso heute? War Inès vielleicht bei ihnen?
    Eher unwahrscheinlich. Doch wer weiß …
    Ich kenne das reisende Volk. Wenn irgendjemand Inès finden kann, dann sind es die Flussratten. Und was Reynaud betrifft – wo immer er sein mag, die Vorstellung, dass die Flussleute Lansquenet-sous-Tannes in Besitz nehmen wollen, sollte doch ausreichen, um ihn aus seinem Versteck zu locken. Er ist zwar nicht mehr derselbe Reynaud wie vor acht Jahren, als er mir mein Schokoladenfest ruiniert hat, aber er ist Fremden gegenüber auch heute noch extrem misstrauisch. Sobald er erfährt, was hier los ist, rennt er nach Hause. Alles kommt am Schluss doch wieder zurück.
    Ich schaute auf die Uhr. Es war schon nach neun. Rosette musste ins Bett. Ich wusste, wo sie und Anouk hingegangen waren: zum Plankenweg am Tannes. Vielleicht wollten sie sich mit Freunden treffen. Ich beschloss, sie zu suchen – vom Haus sind es nur zehn Minuten zu Fuß. Also wanderte ich hinunter nach Les Marauds, wo die Ramadanlichter auf dem Boulevard mit den Laternen am Fluss wetteiferten.
    Bei den Al-Djerbas waren die Fensterläden halb offen, und ich sah, dass sie sich zum Essen um den Tisch versammelt hatten, alle lachten und redeten durcheinander, und die Katze lag schlafend auf dem Fenstersims. Diese Katze hat mindestens drei Familien. Halte eine Katze im Haus, und sie hat nur einen Wunsch: Sie will nach draußen. Sperr sie aus, und sie miaut und möchte unbedingt wieder rein. Die Menschen sind da ganz ähnlich. Immerhin war Mayas Wunsch in Erfüllung gegangen. Wenn doch nur alles so einfach wäre.
    Ich kam auch am Haus der Mahjoubis vorbei, aber hier waren die Fensterläden geschlossen. Nirgends ein Lebenszeichen. Hoffentlich schaffen Alyssa und ihre Familie es, eine gemeinsame Basis zu finden. Und dann, am Ende des Boulevards, wo der Schatten des Minaretts auf die kleine Gasse fällt, die zu Saïds Gym führt, sah ich eine schwarzgekleidete Frau. Sie hielt etwas in der Hand, das aussah wie eine Pappschachtel. Ich blieb im Schatten stehen. Die Frau hatte mich nicht bemerkt. Sie schien es eilig zu haben, blickte sich verstohlen um, öffnete die Gymtür und trat ein.
    Wer kann das sein?, fragte ich mich. Jetzt sind doch alle beim Essen. Und warum geht eine Muslima in ein Fitnessstudio für Männer?
    Auf der anderen Seite des Gyms war ein kleiner Durchgang zum Fluss. Dort wartete ich hinter einer Ecke, bis die Frau wieder erschien. Es dauerte keine fünf Minuten – aber die Schachtel hatte sie nicht mehr dabei. Obwohl sie von Kopf bis Fuß verhüllt war, erkannte ich sie. Es war Zahra Al-Djerba. Ich trat ins Licht.
    »Zahra?«
    Ich spürte ihre Panik. Ihre Farben verrieten sie. Aber sie antwortete mit ruhiger Stimme: »Oh, hallo, Vianne. Ich habe gerade ein paar Sachen für den alten Mahjoubi hier abgeliefert.«
    »Im Gym?«
    Sie zuckte die Achseln. »Ich wollte nicht stören. Außerdem …«
    »Du wolltest Karim nicht begegnen.«
    Sie fuhr zusammen. »Warum sagst du das?«
    Ich lächelte. »Deine Großmutter hat so etwas angedeutet. Und er sieht doch echt gut aus, oder?«
    »Ja, er sieht gut aus. Und er ist gefährlich. Mach dir keine Gedanken, mir verdreht er garantiert nicht den Kopf.« Ich war verblüfft von ihrem nüchternen Tonfall. Nach Alyssas Geständnis und meiner ersten Begegnung mit Karim hatte ich mir ein

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