Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
alten Chocolaterie stehen. Die Pétanque-Spieler, eine kleine Gruppe mittelalter Männer, unter ihnen Louis Acheron, musterten uns unverhohlen.
»Ich wette, sie ist eine heiße kleine Braut«, sagte Louis mit einem abschätzenden Blick auf Sonia. »Bei der würde ich gern mal sehen, was sich unter dem Ding da versteckt.« Er bemühte sich gar nicht, seine Lautstärke zu dämpfen. Seiner Meinung nach waren Frauen im niqab blind und taub.
»Und ich wette, der Kerl hat einen Minipenis«, verkündete Omi schlagfertig. In dem Moment erinnerte sie mich wieder sehr an Armande.
»Omi, geh nach Hause«, rief Zahra. »Das hier hat nichts mit dir zu tun.«
Die alte Frau kicherte. »Es hat nichts mit mir zu tun? Als wüsste ich nicht, dass meine kleine Du’a da drin versteckt ist.«
»Woher weißt du das?«, wollte Zahra wissen.
Omi grinste. »Die Katze hat es mir ins Ohr geflüstert.«
Ärgerlich schüttelte Zahra den Kopf. Wir hatten schon so viel Aufmerksamkeit auf uns gelenkt, dass wir uns einen Streit vor dem Haus hier nicht erlauben konnten. »Okay, dann komm mit«, sagte sie zu Omi. »Aber du darfst keinem etwas sagen.«
Zahra klopfte. Du’a öffnete die Tür. Zuerst erkannte ich sie gar nicht. Ich hatte sie ja bisher immer nur in dem schwarzen Gewand gesehen, gekleidet wie ihre Mutter, die Haare unter einem hijab, der eng ums Gesicht geschlungen war. Aber jetzt trug sie einen rosaroten kamiz über Bluejeans und Turnschuhen, und ihre Haare waren zu einem langen Zopf geflochten. Ich hatte sie immer auf zehn oder elf geschätzt, aber jetzt sah sie älter aus, vielleicht dreizehn oder vierzehn.
Wir folgten ihr ins Haus. Mit den frisch gestrichenen Wänden sah es hier fast so aus wie damals, als Anouk und ich die Chocolaterie eröffnet hatten. Der Steinfußboden war nackt bis auf einen kleinen Teppich, ein paar Kissen und einen niedrigen Tisch. Es roch nach frischer Farbe und nach Räucherstäbchen.
Omi rief: »Mein kleiner Pfirsich! Dann bist du also mit dem Boot flussabwärts gefahren?«
Du’a nickte. »Ja, und wir sind Rosettes Vater begegnet. Er hat uns geholfen, den Motor zu reparieren.« Sie lächelte schüchtern. »Er ist ganz toll. Pilou redet dauernd von ihm.«
»Ist deine Mutter da?«, fragte ich sie.
Ja, sie war da. In Jeans und einem roten kamiz. Aber anders als Du’a hatte sie den Schleier nicht abgelegt. Selbst im Hausinneren verdeckte sie Gesicht und Haare mit einem schwarzen Schal. In dieser Umgebung wirkte der Schleier irgendwie anstößig und feindselig. Ihre wunderschönen Augen unterstrich sie auch jetzt durch einen bunten Streifen Stoff. Aber ihr Blick war ausdruckslos, ja gleichgültig.
»Wie gut, dass Sie in Sicherheit sind«, sagte ich. »Wir haben uns alle schon Sorgen gemacht.«
Sie zuckte die Achseln. »Das bezweifle ich. Ich bin hier nicht besonders beliebt.« Sie drehte sich zu Zahra, die genau wie Sonia den Schleier abgelegt hatte, sobald sie ins Haus gekommen war. »Ich habe dir gesagt, du sollst Vianne Rocher hierherbringen. Warum schleppst du gleich noch dieses Idiotenkomitee an?«
Omi lachte. »Wie immer sehr höflich! Warum versteckst du dich hier, wenn du doch weißt, dass dein Bruder dich sucht?«
»Tut er das?«
»Ja, und wenn du mal an andere Leute denken würdest und nicht immer nur an dich selbst …«
»Lass gut sein, Omi«, sagte Zahra. »Du weißt doch gar nicht, was los ist.« Sie wandte sich an Inès. »Ich habe mit dem Priester gesprochen. Du musst den anderen deine Geschichte erzählen.«
»Du meinst Reynaud?«, fragte ich. »Ist er hier?«
Sonia musterte Inès mit einer merkwürdigen Intensität. Ich sah sie zum ersten Mal ohne Schleier und war verblüfft, wie stark sie Alyssa ähnelt. Beide haben ein schmales, feingeschnittenes Gesicht, große, ausdrucksvolle Augen und tragen einen goldenen Nasenstecker. Aber Alyssa ist lebhaft und dynamisch, während Sonia blass und farblos wirkt. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen und einen melancholischen Zug um den Mund.
»Warum bist du weggegangen?«, fragte sie. »Wenn du sowieso zurückkommen wolltest, weshalb bist du dann überhaupt fort?«
Inès zuckte die Achseln. »Du verstehst das nicht.«
»Soll ich es denn verstehen?«, sagte Sonia. »Karim und ich haben uns gut verstanden, bis du hier aufgetaucht bist und alles verdorben hast. Und wenn du uns in Ruhe gelassen hättest, dann hätten wir eine Chance gehabt.«
Inès lachte verächtlich. »Glaubst du das tatsächlich? Glaubst du, ihr hättet eine
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