Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
machte, er sei ein ausgesprochen pflichtbewusster Bruder, hetzte er gleichzeitig das ganze Dorf gegen Inès auf. Alle – außer Zahra. Denn Zahra kannte die Wahrheit und versuchte, Inès zu beschützen.
»Mein Sohn setzt seine Interessen selten persönlich durch«, erklärte Inès mit ihrem grauenvollen Lächeln. »Er lässt andere die Arbeit für ihn erledigen. Die anderen denken, dass sie selbst die Entscheidungen treffen, aber eigentlich führen sie nur seine Befehle aus. Das Graffito auf meiner Hauswand. Der Brand. Sogar das Hausboot.« Sie schaute wieder Sonia an, deren Gesicht ganz verzerrt war, weil sie allmählich zu begreifen begann. »Karim wollte, dass du das alles machst. Er hat dich dazu getrieben. Er wusste genau, dass ich seine Taten nicht aufdecken kann, ohne meine eigene Geschichte ebenfalls preiszugeben, und er dachte, er könnte den Unschuldsengel spielen und alles dir in die Schuhe schieben.«
Sonia schüttelte ratlos den Kopf. »Bitte. Ich wollte niemandem etwas antun. Ich wollte nur, dass du gehst.«
»Ja, natürlich. Das weiß ich«, sagte Inès. »Aber selbst wenn ich weggegangen wäre, hätte sich Karim nie ganz sicher gefühlt. Ich weiß zu viel über ihn. Er hat schon lange den Wunsch, mich für immer loszuwerden, aber dafür brauchte er einen Sündenbock. Anfangs habe ich gedacht, dass du es sein könntest. Aber ihm war klar, dass du niemals morden würdest, auch wenn du ihn noch so sehr liebst. Also ließ er sich etwas Besseres einfallen. Und Monsieur le Curé sollte ihm dabei von Nutzen sein.«
Reynaud. Ihn hatte ich schon fast vergessen. »Wo ist er überhaupt?«, fragte ich. »Geht’s ihm gut?«
Zahra fühlte sich sichtlich unwohl. »Es tut mir leid, Vianne. Ich bin am Anfang darauf reingefallen. Genau wie alle anderen habe ich geglaubt, dass Reynaud das Feuer gelegt hat. Und dann hat Karim ihn ja mit einem Benzinkanister erwischt …«
»Wo ist er, Zahra?«, drängte ich.
»Er ist in dem Keller unter dem Gym. Es tut mir furchtbar leid, ich hätte es dir sagen sollen. Aber Karim war so wütend, und ich habe gedacht …«
»Natürlich war er wütend!« Das war wieder Inès. Ihre harte Stimme klang noch flacher als sonst. »Dass der Priester sich einmischte, passte ihm überhaupt nicht ins Konzept. Karim hatte alle anderen Pläne ausgeschöpft und war jetzt fest entschlossen, die Sache mit mir ein für alle Mal zu erledigen. Er rechnete sich aus, wenn ich verschwinde, dann wird Reynaud dafür verantwortlich gemacht. Und wenn Reynaud nie gefunden wird …« Sie zuckte die Achseln. »Der Tannes ist ein gefährlicher Fluss, vor allem nach dem langen Regen. Es kann Wochen dauern, bis eine Leiche gefunden wird, und dann lässt sich der Todeszeitpunkt nicht mehr bestimmen.«
Schweigen. Wir hatten Mühe zu begreifen, was sie sagte. Karim, ein Mörder? Nein, das war unmöglich. Aber trotzdem – es klang alles logisch.
»Meinem Sohn blieb keine Zeit mehr. Er hatte Angst, ich könnte aus Sorge um Du’a gegen ihn aussagen. Das Hausboot machte uns verletzlich. Vielleicht wollte er, dass es so aussieht, als wären wir bei einer Brandstiftung ums Leben gekommen. Vielleicht wollte er das Boot versenken und unsere Leichen in den Fluss werfen. Aber als er seinen Plan ausführen wollte, kam ihm Monsieur le Curé in die Quere.«
Jetzt meldete sich Sonia zu Wort. »Das stimmt. Der Priester hat mich gesehen. Und ich … ich habe ihm gebeichtet.«
»Tatsächlich?« Inès schien das beinahe lustig zu finden. »Na ja. Egal, was du gesagt hast, er blieb lange genug dort, um Karims Pläne zu durchkreuzen. Karim muss gesehen haben, dass der Priester das Boot beobachtete. Er wäre ein Augenzeuge gewesen. Deshalb hat mein Sohn ihn überfallen. Er dachte, er könnte ihn später als Sündenbock gebrauchen, aber ich hatte alles gehört und gesehen. Während Karim mit Reynaud beschäftigt war, habe ich das Boot losgebunden und flussabwärts treiben lassen.« Sie seufzte tief. »Ich wusste nicht, ob Reynaud noch lebt. Ich habe nur gesehen, wie er zu Boden ging. Das reichte. Aber als Zahra mir alles erzählt hat …«
Jetzt mischte sich Omi ein. Ihre heisere Stimme klang fast belustigt. »Willst du sagen, dass Monsieur le Curé schon die ganze Zeit da im Keller hockt? Hihi, ich wette, er ist wütend wie ein Stier!«
Ich schaute Zahra fragend an. »Im Gym, sagst du? Warst du deswegen gestern Abend dort?«
Sie nickte. »Ja, ich habe ihm etwas zu essen gebracht.«
»Aber warum ist er dort eingesperrt?«
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