Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Guillaume Duplessis, Georges und Caro Clairmont – Caro mit so betont besorgter Miene, dass ich ihr am liebsten den Hals umgedreht hätte. Narcisse, der zweimal im Jahr zum Abendmahl kommt, wenn er es nicht vergisst, aber sonst durch Abwesenheit glänzt, Henriette Moisson, Charles Lévy, sogar der Engländer John Mackintosh.
Und dann saßen da noch Leute, die aus gutem Grund vorher noch nie bei mir im Gottesdienst waren. Zahra Al-Djerba, Sonia Bencharki, Alyssa Mahjoubi. Ihr Vater Saïd. Und sogar der alte Mohammed Mahjoubi – alle mit Blumen und Obst. Und natürlich Vianne Rocher. Mit Anouk und Rosette. Und die Flussratten, in abgerissener Kleidung und mit Tätowierungen. Meine Kirche war zum Bersten gefüllt.
Und überall Kerzen, auf jeder freien Fläche, auf jedem Vorsprung. Hunderte, ja Tausende von Votivkerzen, jede einzelne von ihnen ein Gebet. Auf dem Altar, beim Taufbecken, unter den Statuen des heiligen Franziskus und der Jungfrau Maria. So viele Kerzen haben wir nicht mal an Heiligabend, aber heute, an einem Donnerstagmorgen im September, sah Saint-Jérôme aus wie eine Kathedrale.
»Schön, dass es Ihnen wieder gutgeht, mon père.«
»Haben Sie meine Blumen bekommen?«
»Ich hoffe, der Wein hat Ihnen geschmeckt, mon père.«
»Nehmen Sie nachher die Beichte ab?«
Ich drehte mich zum Bischof um. »Ich hatte keine Ahnung.«
Monseigneur lächelte. Vielleicht war sein Zahnpastalächeln noch etwas frostig, aber der Bischof ist ein erfahrener Politiker und weiß, wann er das Lager wechseln muss.
»Es ist großartig, so viele Menschen hier zu sehen«, verkündete er, an die Dorfbewohner gewandt. »Ja, natürlich, erdrücken Sie Père Francis nicht, bestimmt ist er bereit, gleich ein paar Worte zu sagen.«
Nun, père, ich habe noch nie vor einer so riesigen Versammlung die Messe gelesen. Ich hatte nichts vorbereitet, versteht sich – doch zu meiner Verwunderung kamen mir die Worte leichter über die Lippen als je zuvor. Ich weiß selbst nicht mehr genau, was ich gesagt habe. Jedenfalls sprach ich über Gemeinschaft und Zusammenhalt und was es heißt dazuzugehören. Ich sprach über die Freundlichkeit der Fremden und wie es ist, wenn man im Dunkeln sitzt und das Licht in den Fenstern anderer Menschen sieht. Wie es sich anfühlt im Bauch des Walfischs und als Fremder in einem fremden Land – und als ich aufhörte zu sprechen, war der Bischof fort.
Vianne würde sagen: Der Wind hatte sich gedreht.
Das Fest am Ende
des Ramadan
1
Mittwoch, 8. September
Tja, Père Henri ist danach nie mehr hier aufgetaucht. Was auch niemand erwartet hatte. Lansquenet hat sich mit Joséphines Hilfe Francis Reynaud als Priester zurückgeholt. Père Henris letzte Groupies – unter ihnen Caro Clairmont – hüten sich, ihre Unzufriedenheit zu zeigen. Schließlich waren sie diejenigen, die Karim Bencharki gefeiert haben.
Reynaud ist, trotz der Warnungen seines Arztes, seit diesem Tag wieder bei der Arbeit. Er ist immer noch dünn und ziemlich blass, aber er sagt, alles sei besser, als im Bett liegend die Beichte abzunehmen. Außerdem, fügt er auf seine sarkastische Art hinzu, hat er schon so viele Esssachen geschenkt bekommen, dass er einen eigenen Laden aufmachen könnte. Reynaud ist kein Mensch, der mit Zuneigung umgehen kann. Freundlichkeit bringt ihn völlig durcheinander, er fragt sich dann, was er falsch gemacht hat. Und schon ist er mit den Ave-Maria noch strenger. Seine Gemeindemitglieder verstehen das und spielen entsprechend die reuigen Sünder. Sie fühlen sich verantwortlich für das, was ihm widerfahren ist. Sie wollen ihm eine Freude machen.
Joséphine ist immer noch hier. Vielleicht geht sie ja nie weg. Heute Abend war ich bei ihr, um mich zu verabschieden. Sie saß auf ihrer Terrasse, trank eine heiße Schokolade und beobachtete Pilou, der neben der Brücke hockte, seine Angelrute in der Hand. Paul-Marie war bei ihm, ebenso Vlad, der gemütlich auf der Straße lag. Ich konnte Paul in seinem Rollstuhl nur von hinten sehen, aber etwas an seiner Haltung brachte mich dazu, genau hinzuschauen.
»Ich weiß, es ist bescheuert«, sagte Joséphine. »Die Menschen ändern sich nicht. Jedenfalls nicht richtig. Aber in den letzten Tagen ist er …« Sie zuckte die Achseln. »Du verstehst schon. Er ist irgendwie anders.«
Ich lächelte. »Ja, ich weiß. Mir ist das auch aufgefallen. Und du hast recht, die Menschen ändern sich nicht, aber manchmal wachsen sie, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt. Man muss
Weitere Kostenlose Bücher