Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
auf mich gerichtet, haben einen verblüffenden Grünton und ungewöhnlich lange Wimpern.
»Madame Bencharki, guten Morgen«, sagte ich.
Die Frau wiederholte ihre Frage. »Was tun Sie hier in meinem Haus?«
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, und murmelte etwas von Verantwortung gegenüber der Gemeinde und dass der Dorfplatz aufgeräumt werden müsse. Bestimmt klang ich genauso schuldig, wie ich in ihren Augen war.
»Was ich sagen will«, stotterte ich weiter, »ich dachte, vielleicht kann die Gemeinde helfen, das Haus wieder in Ordnung zu bringen. Mit der Versicherung – da muss man oft monatelang warten, das wissen Sie ja bestimmt. Und der Hausbesitzer wohnt in Agen. Bis der hierherkommt und den Schaden begutachtet, können Wochen vergehen. Aber wenn jeder hier etwas beiträgt …«
»Etwas beiträgt«, wiederholte die Frau.
Ich versuchte zu lächeln. Das war ein Fehler. Unter ihrem Schleier war sie vielleicht eine Salzsäule, ein Marmorblock.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich brauche keine Hilfe.«
»Aber … Sie verstehen nicht, was ich meine«, sagte ich. »Niemand würde erwarten, dass Sie etwas für die Arbeit bezahlen. Es wäre nur eine Geste der Hilfsbereitschaft.«
Die Frau wiederholte ihren Satz, im gleichen monotonen, unerbittlichen Tonfall. Ich hätte sie am liebsten angefleht, aber stattdessen entgegnete ich spröde: »Nun, es ist selbstverständlich Ihre Entscheidung.«
Die grünen Augen zeigten keine Reaktion. Ich versuchte es erneut mit einem Lächeln, aber vermutlich wirkte ich wieder nur unbeholfen und schuldbewusst.
»Was passiert ist, tut mir wirklich sehr leid«, sagte ich. »Hoffentlich können Sie und Ihre Tochter bald wieder hier wohnen. Wie geht es denn Ihrer Tochter?«
Wieder schwieg die Frau. In meinen Achselhöhlen prickelte der Schweiß.
Als Junge im Seminar wurde ich einmal verdächtigt, Zigaretten in die Schule eingeschleust zu haben. Ich wurde zu Père Louis Durand zitiert, um einige Fragen zu beantworten. Der Pater war für Disziplin zuständig. Ich hatte keine Zigaretten mitgebracht, kannte aber den Übeltäter, und irgendwie verhielt ich mich so verklemmt, dass niemand an meine Unschuld glaubte. Ich wurde bestraft, wegen der Zigaretten und dann noch dafür, dass ich angeblich versucht hatte, die Schuld auf einen meiner Kameraden abzuwälzen. Zwar wusste ich genau, dass ich nichts verbrochen hatte, empfand aber die gleiche Art von Scham wie jetzt, während ich mit der Frau in Schwarz sprach. Ein Gefühl absoluter Hilflosigkeit.
»Es tut mir sehr leid«, wiederholte ich. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann …«
»Am besten lassen Sie mich einfach in Ruhe«, sagte sie. »Meine Tochter und ich …«
Sie unterbrach sich mitten im Satz. Unter dem schwarzen Gewand schien sich ihr ganzer Körper anzuspannen.
»Ist alles in Ordnung?«
Sie schwieg. Da drehte ich mich um und sah Karim Bencharki – wer weiß, wie lange er uns schon beobachtete.
Er sagte etwas auf Arabisch.
Inès antwortete in scharfem Ton.
Karims Stimme hingegen klang richtig zärtlich, als er etwas erwiderte, und ich war ganz erleichtert. Ich hatte Karim schon immer für einen gebildeten, progressiven Mann gehalten, der Frankreich und die französische Kultur verstand. Vielleicht konnte er Inès vermitteln, dass ich tatsächlich nur helfen wollte.
Auf den ersten Blick würde man Karim Bencharki nicht für einen Maghrebiner halten. Mit seiner hellen Haut und den goldenen Augen sieht er eher italienisch aus. Und er kleidet sich wie ein Westler, Jeans, Hemd, Turnschuhe. Als er nach Lansquenet kam, dachte ich, ein so offensichtlich westlich orientierter, kosmopolitischer Mensch wie er könnte eine Annäherung zwischen Les Marauds und uns befördern. Ich hoffte, seine Freundschaft mit Saïd Mahjoubi würde helfen, die Kluft zwischen den traditionellen Werten des alten Mahjoubi und denen des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu überbrücken.
Ich wandte mich an ihn: »Wie ich gerade schon zu erklären versuchte, waren Luc Clairmont und ich hier, um den Schaden einzuschätzen, den der Brand verursacht hat. Das meiste ist nur oberflächlich – Rauch und Wasser. Innerhalb einer Woche könnte man das Haus wieder bewohnbar machen. Sie sehen ja selbst, wir haben das verbrannte Holz und den übrigen Schutt größtenteils schon weggeräumt. Ein paar Schichten Farbe, ein bisschen Holz, ein bisschen Glas, und Ihre Schwester kann wieder einziehen.«
»Sie wird nicht mehr hier einziehen«, verkündete Karim.
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