Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
mich nach draußen.
»Danke für die Pfirsiche.«
Ich lächelte. »Ich würde mich freuen, wenn Sie uns mal besuchen.«
Die Sonne war schon untergegangen. Bald würden überall in Les Marauds die Leute an den Tischen Platz nehmen und das Fasten brechen. Ich sah die ersten schon aus der Moschee kommen. Ein paar von ihnen musterten mich neugierig, als ich den Boulevard überquerte – hier sieht man nicht so oft eine Frau, die allein unterwegs ist und so gekleidet wie ich, in Jeans und Bluse, die Haare offen. Die meisten ignorierten mich, mit betont abgewandtem Blick, was in Tanger als respektvoll gilt, in Lansquenet jedoch eher einer Beleidigung gleichkommt.
Die meisten Passanten waren Männer – am Ramadan bleiben die Frauen in der Regel zu Hause, um das Fastenbrechen vorzubereiten. Manche trugen weiße Roben, andere bunte djellabas, diese Umhänge mit Kapuze, die weit verbreitet waren, als meine Mutter und ich in Tanger lebten. Die meisten hatten Gebetsmützen auf, aber ein paar ältere Männer trugen einen Fez oder das typische Kefije-Tuch. Oder eine schwarze Baskenmütze. Ein paar Frauen sah ich auch – die meisten mit einem schwarzen niqab. Würde ich Inès Bencharki erkennen, wenn sie dabei wäre? Und dann zuckte ich fast zusammen, weil ich sie plötzlich sah – die Frau in Schwarz. Sie ging den Boulevard entlang, mit der gemessenen Eleganz einer Tänzerin.
Die anderen Frauen gehen miteinander, unterhalten sich, lachen. Inès Bencharki bleibt für sich, in Schweigen gehüllt. Die Schultern gerade, den Kopf stolz erhoben, unnahbar in einer Hülle aus Dämmerlicht.
Sie ging ganz dicht an mir vorbei. Ich hätte sie berühren können. Kurz konnte ich ihre Farben unter der schwarzen abaya sehen. Ich musste an den Tag in Paris denken, als ich die Frau mit dem niqab auf dem Pont des Arts sah, die Frau, die mich mit ihren schwarz umrandeten Augen beobachtete. Inès Bencharkis Augen sind auf andere Art schön, mit langen Wimpern und ohne jedes Make-up. Sie hält den Blick gesenkt, und die anderen Leute weichen fast instinktiv zurück und lassen ihr Raum. Niemand spricht mir ihr. Niemand würdigt sie auch nur eines Blickes.
Ich wüsste gern, weshalb sich die Menschen in ihrer Gegenwart unwohl fühlen. Bestimmt liegt es nicht an ihrem niqab. Es gibt ja noch andere Frauen in Les Marauds, die den Schleier tragen, ohne dabei diese Kälte, diese Aura der Absonderung zu verbreiten. Wer ist Inès Bencharki? Warum redet keiner mit ihr? Und warum tun alle so, als wäre sie Bencharkis Schwester, während doch Omi und die anderen Al-Djerbas offensichtlich glauben, dass die Beziehung zwischen den beiden eine andere ist?
6
Mittwoch, 18. August
Ich brauchte über eine Stunde, père, um die schwarze Farbe von meiner Haustür abzuwaschen. Aber die Inschrift bleibt sichtbar, als eine Art Negativ in die Tür eingeschrubbt. Ich kann nicht anders, als die ganze Tür neu zu streichen. Schließlich haben die Leute schon genug Anlass zu Tratsch.
Heute Nacht habe ich gar nicht gut geschlafen. Die Luft war still und erdrückend. Ich wachte auf, als es dämmerte, öffnete die Fensterläden, und schon hörte ich den Gebetsruf aus Les Marauds herüberwehen. Allahu akbar. Gott ist groß. Ich hatte nicht übel Lust, die Kirchenglocken zu läuten, und sei es nur, um das Echo zu ertränken und das Grinsen von Mahjoubis Gesicht zu wischen. Er weiß genau, dass das, was er tut, illegal ist. Er weiß aber auch, dass kein lokaler Bürgermeister in unserem Sinn Einspruch erheben wird. Der Ruf kommt aus dem Inneren der Moschee, ohne Verstärkung. Das heißt, Mahjoubi hält sich, technisch gesehen, an das Gesetz.
Allahu akbar. Allahu akbar.
Mein Gehör muss überdurchschnittlich gut sein. Die meisten anderen Leute scheinen den Gebetsruf gar nicht zu bemerken – Narcisse, der allmählich taub wird, behauptet, ich bilde mir das alles nur ein. Aber das stimmt nicht. Und an einem Tag wie heute, an dem alles so still ist, dass ich das Plätschern des Tannes und jedes Vogelzwitschern höre – an so einem Tag schneidet der Ruf des Muezzins durch den frühen Morgen wie Regen.
Regen. Guter Gedanke. Es hat diesen Monat noch kein einziges Mal geregnet. Wir könnten alle ein bisschen Regen brauchen – damit die Gärten blühen, der Staub von den Straßen gespült wird und diese höllischen Nächte abkühlen. Aber nicht heute. Der Himmel ist klar.
Ich trank eine Tasse Kaffee und ging hinauf zu Poitous Bäckerei, kaufte eine Tüte Croissants und ein
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