Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
Vianne noch weiter draußen kochte, wo der Rauch vom Wind davongetragen wurde.
Es gab Pfannkuchen, das war klar. Und Würstchen. Außerdem confit de canard und Gänseleberpastete und süße rosarote Zwiebeln, frittierte Champignons mit Kräutern und Ziegenkäse, in Asche gerollt, sowie Pastis Gascon und Nussbrot, Anisbrot, fouace, Oliven, Peperoni und Datteln. Zu trinken gab es Cidre und Wein und floc. Obstsaft für die Kinder und dann sogar noch eine Schüssel mit Resten für den Hund, der sich nach dem Essen neben dem Feuer zusammenrollte und schlief, wobei er allerdings gelegentlich mit dem Schwanz zuckte und leise zwischen den Zähnen irgendwelche Schimpfwörter knurrte.
Draußen wurde der Autan immer heftiger. Der Regen prasselte nur so gegen die Fensterscheiben. Vianne legte noch ein paar Holzscheite in den Kamin, Joséphine sicherte die Tür, und Anouk begann ein Lied zu singen, das ich von ganz, ganz früher kenne, ein trauriges Lied über den Wind und dass er sich immer nimmt, was er braucht:
V’là l’bon vent, v’là l’joli vent –
Sie hat eine hübsche, ungeübte Stimme und singt erstaunlich gern, ohne jede Befangenheit. Rosette sang mit, wie immer temperamentvoll, und Pilou begleitete die Schwestern, indem er auf den Tisch trommelte. Allerdings war sein Enthusiasmus größer als sein Talent.
»Komm, Alyssa«, rief Anouk. »Sing den Refrain mit.«
Alyssa wehrte verlegen ab. »Ich kann nicht singen.«
»Ich doch auch nicht«, sagte Anouk. »Komm schon, sing mit.«
»Aber ich kann echt nicht singen! Ich weiß nicht, wie man das macht.«
»Jeder kann singen«, erklärte Anouk. »So wie jeder tanzen kann.«
»Bei uns zu Hause ist das anders«, sagte sie. »Jedenfalls jetzt. Als ich noch klein war, haben wir oft gesungen. Sonia und ich, wir konnten viele Lieder. Und wir haben immer bei der Musik im Radio mitgesungen und dazu getanzt. Sogar meine Großmutter hat mitgemacht, bis …« Sie senkte die Stimme. »Bis sie gekommen ist.«
»Meinst du Inès Bencharki?«, fragte Vianne.
Alyssa nickte.
Wieder diese Frau. »Ihr Bruder ist der große Beschützer«, sagte ich.
»Sie ist nicht seine Schwester«, widersprach Alyssa mit einem verächtlichen Unterton.
Ich schaute sie an. »Wer ist sie dann?«
Alyssa zuckte die Achseln. »Das weiß niemand so richtig. Manche Leute sagen, sie war mit ihm verheiratet. Oder sie ist seine Geliebte. Aber egal, was zwischen den beiden ist, sie hat immer noch viel Macht über ihn. Vor dem Brand ist er dauernd zu ihr gegangen.«
Jetzt warf ich Vianne einen fragenden Blick zu. »Wussten Sie das?«
»Es ist mir nicht ganz neu.«
Ich trank einen Schluck Wein. »Wie kann es sein«, sagte ich, »dass Sie innerhalb einer Woche mehr über unser Dorf herausfinden als ich in vielen Jahren?«
Wahrscheinlich klang ich verärgert. Kann sogar sein, dass ich mich geärgert habe. Schließlich ist es meine Aufgabe, genau zu wissen, was in meiner Gemeinde passiert. Zu mir kommen die Leute, um zu beichten – aber in ihrem Pralinenladen hat Vianne Rocher damals mehr mitbekommen als ich. Und jetzt reden auch die Maghrebiner mit ihr. Alles genauso wie vor acht Jahren.
Ich trank noch einen Schluck. »Diese Frau«, sagte ich. »Ich habe gewusst, dass sie etwas verbirgt. Unter ihrem Schleier wirkt sie extrem fromm, und sie tut so, als hätten die Männer nichts anderes im Sinn, als sie zu vergewaltigen. Sie blickt auf alle herunter, dabei hat sie die ganze Zeit …«
»Das wissen Sie doch gar nicht!«
»Selbst ihre eigenen Leute denken es«, sagte ich.
»Trotzdem ist es nur ein Gerücht«, sagte Vianne Rocher.
Vermutlich hat sie recht. Verdammt noch mal, mon père, warum hat sie eigentlich immer recht?
»Und was ist mit dem Kind?«, fragte ich.
»Du’a«, sagte Alyssa. »Sie ist ein ganz süßes Mädchen. Ihren Vater kennt sie gar nicht. Sie sagt, er ist gestorben, als sie noch ein Baby war – ich glaube, davon ist sie echt überzeugt. So wie’s aussieht, hat Karim überhaupt nichts für sie übrig. Er redet nicht mal mit ihr. Aisha Bouzana sagt, sie hat gehört, dass Inès gar nicht Du’as Mutter ist – angeblich hat sie Du’a gestohlen, als sie noch winzig war, weil sie selbst keine Kinder bekommen kann.« Mit gesenkter Stimme fuhr Alyssa fort: »Manche Leute behaupten sogar, dass Inès gar kein Mensch ist, sondern so was wie ein Dschinn, ein amar, der den Kindern waswas einflüstert und sie dem shaitan ausliefert.«
Was für eine lange Rede! Bisher wusste ich nicht,
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