Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
ich in mir habe. Wie viel Egoismus und Selbstsucht, wie viel Angst.
Die Königin der Kelche. Der Ritter der Kelche. Die Sieben der Schwerter. Die Sieben der Scheiben. Die Karten meiner Mutter, der verträumte Geruch, die vertrauten Bilder.
Ist Joséphine die verblasste Königin? Kann es sein, dass Roux ihr Ritter war? Und bin ich der Mond, unbeständig, doppelgesichtig, der Mond, der sein Netz zwischen ihnen spinnt?
Um drei Uhr nachmittags kamen Anouk und Rosette nach Hause, zusammen mit Pilou, alle fröhlich und atemlos vom Wind.
»Pilou hat einen Drachen«, erzählte Anouk, während Rosette es begeistert in ihrer Zeichensprache wiederholte. »Wir haben ihn flussabwärts fliegen lassen, wir drei und dieser verrückte Hund. Ehrlich mal, so ein lustiger Köter. Einmal ist er in den Fluss gesprungen, weil er den Drachen am Schwanz packen wollte, und wir haben ihn alle zusammen wieder rausgezogen. Deshalb hat Rosette so grünes Zeug in den Haaren, und wir riechen alle nach nassem Hund.«
»Das ist ungerecht«, protestierte Pilou. »Vlad ist kein Köter. Er ist ein hochintelligenter, bestens erzogener Drachen-Retriever, der von den sagenumwobenen, legendären Fischhunden im alten China abstammt.«
Hundfisch, sagte Rosette. Fischhund. Drachenfisch. Und dann vollführte sie mit Bam einen kleinen Tanz quer durch die Küche.
Alyssa war wieder nach oben geflohen, sobald sie den Hund bellen hörte.
Anouk rief: »Alles okay, es ist nur Vlad. Du kannst runterkommen. Er beißt dich nicht.«
Ich war fest davon überzeugt, dass Alyssa nicht kommen würde. Doch dann war ihre Neugier stärker als ihre Schüchternheit. Sie setzte sich auf den Treppenabsatz und spähte durchs Geländer. Pilou warf ihr einen flüchtigen Blick zu, fand dann aber die Schüssel mit dem Pfannkuchenteig auf dem Herd wesentlich interessanter.
»Ist das für heute Abend?«, wollte er wissen.
»Ja. Magst du Pfannkuchen?«
Pilou nickte begeistert. »Vor allem, wenn man sie draußen im Freien macht, über dem offenen Feuer, so wie es die Flussleute früher gemacht haben. Und natürlich mit Würstchen und Cidre.«
»Kennst du die Flussleute? Ich habe gedacht, sie kommen nicht mehr hierher«, sagte ich.
»Als ich noch klein war, sind sie öfter gekommen«, sagte er. »Aber dann gab’s zu viele Probleme in Les Marauds. Ich glaube, mein Vater ist mit ihnen gegangen.« Mit einem Achselzucken begann er wieder die Dinge auf dem Herd zu inspizieren.
Erneut dachte ich an die Königin der Kelche. Ich suchte in Pilous Gesicht nach Roux, konnte ihn aber nicht finden. Locken, von der Sonne gebleicht, rundes Gesicht, Stupsnase. Eine Spur von Joséphine vielleicht in den Augen, nichts von Roux – aber genau wie Rosette malt er für sein Leben gern.
Mir fiel das abstrakte Bild ein, das in Joséphines Café hing. Und ihr Blick, als sie von Pilous Vater erzählte. Das heißt – sie hatte eigentlich gar nicht über ihn geredet, sondern nur gesagt, Pilou gehöre ihr und sonst niemandem. Das habe ich ja auch immer gesagt, wenn die Leute nach Anouks Vater gefragt haben. Aber wenn ich es von Joséphine höre, beunruhigt es mich – vermutlich mehr als nötig.
»Wann hast du Geburtstag?«
Überrascht schaute er mich an. »Am siebzehnten Dezember. Warum?«
Rosette ist am zwanzigsten Dezember auf die Welt gekommen. So nah beieinander, die Geburtstage. Aber was würde es schon ändern, wenn mein Verdacht sich bestätigen sollte? Roux ist es völlig egal, dass Anouk nicht sein Kind ist. Und warum sollte das hier anders sein? Aber der Gedanke störte mich, dass Roux es vielleicht wusste und dieses Wissen acht Jahre vor mir geheim gehalten hat. Vier der acht Jahre hat er ja noch hier in Lansquenet verbracht, hat auf verschiedenen Höfen gearbeitet, sein Boot gebaut und die ganze Zeit ein Zimmer bei Joséphine gemietet.
Der Ritter der Kelche will etwas verbergen. Sein Gesicht hat viele Schattenflecken. Die Königin mit ihrem Kelch wirkt so müde, als würde der Kelch etwas enthalten, wovon ihr übel wird. Die Kinder sind nach oben gegangen, samt Vlad, und sie sind erstaunlich leise. Ich überlasse sie ihren Spielen und gehe mit meinem Telefon nach draußen, hinunter nach Les Marauds.
Immer noch keine Nachricht von Roux. Sein Handy ist abgestellt. Ich schreibe:
Roux, bitte melde dich. Ich brauche dich!
Natürlich habe ich diese SMS nicht abgeschickt. Ich habe noch nie jemanden gebraucht. Wenn Roux sich melden will, dann wird er das tun. Und außerdem – was würde ich
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