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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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viel schreien, man brauchte Buntstifte und Zeichenpapier, und der Hund musste bellen. Rosette machte sich mit ihrer lebhaften Mimik verständlich. In dem ganzen Trubel fiel es zuerst gar nicht auf, dass ich hinter den Frauen eingetreten war, und mir blieb genug Zeit, um zu sehen, dass Alyssa Mahjoubi mit den anderen spielte. Sie sah so anders aus, dass ich sie kaum erkannte: westliche Kleidung – eine blaue Bluse und Jeans –, die Haare etwa kinnlang geschnitten, allerdings nicht ganz gleichmäßig. Am verblüffendsten war für mich jedoch, dass sie lachte. Ihr kleines lebhaftes Gesicht leuchtete richtig, weil das Spiel ihr solchen Spaß machte, und offenbar dachte sie überhaupt nicht mehr an ihre Eskapade.
    Mir wurde überdeutlich vorgeführt, wie kindlich Alyssa mit ihren siebzehn Jahren immer noch war – obwohl zum Beispiel ihre Schwester im gleichen Alter schon geheiratet hatte. Mit siebzehn, in dieser heiklen Übergangsphase zwischen Pubertät und Erwachsensein, ist die Welt ein verrückter Ort. An einem Tag scheinen die Wege mit Glassplittern gepflastert zu sein, am nächsten Tag sind sie mit Apfelblüten bestreut. Wir können das Paradies fast noch berühren, und gleichzeitig wollen wir es unbedingt hinter uns lassen. Ich bemerkte Viannes Gesichtsausdruck. Gingen ihr ähnliche Gedanken durch den Kopf wie mir? Ihre Tochter ist erst fünfzehn, aber ihre Augen haben etwas Wildes, und man merkt, dass sie unterwegs sein und die Welt sehen möchte. Was hat Joséphine vorhin gesagt? Manche Leute sitzen ihr Leben lang nur herum und warten auf einen bestimmten Zug, und irgendwann merken sie, dass sie es nicht mal bis zum Bahnhof geschafft haben. Anouk ist auf dem Bahnhof. Ihr wäre jeder Zug recht, glaube ich.
    Sie drehte sich zu mir um, als hätte sie meine Gedanken gehört. »Monsieur le Curé?«
    Jetzt schauten mich alle an. Alyssa erschrak kurz, aber dann siegte ihr Trotz.
    Ich sagte: »Ich habe es keinem erzählt. Und ich werde es auch weiterhin so halten, es sei denn, du willst, dass ich etwas sage.«
    Mit einem verlegenen Lächeln schaute sie weg. Die Geste ist ganz typisch für sie und ihre Schwester: das Kinn nach unten drücken, den Kopf leicht nach links drehen, die Augenlider mit den dunklen Wimpern senken, was jetzt noch dadurch verstärkt wird, dass ihr die kurzen Haare ins Gesicht fallen. Sie ist außergewöhnlich hübsch, obwohl sie – oder weil sie – noch so jung ist. Mich macht das etwas befangen; es passiert mir bei schönen Frauen ziemlich oft. Als Priester dürfte ich die Schönheit gar nicht bemerken. Aber als Mann entgeht sie mir nie.
    »Ich erfinde mich selbst neu«, sagte sie. »Anouk und Rosette haben mir die Haare geschnitten.«
    Anouk grinste. »Auf einer Seite sind sie ein bisschen kürzer geworden. Aber ich finde, es sieht trotzdem cool aus. Was sagen Sie?«
    Ich sagte, ich sei nicht der Richtige, um ein Urteil abzugeben. Aber Joséphine umarmte Alyssa und rief: »Du siehst bezaubernd aus.«
    Alyssa lächelte. »Sie haben das auch gemacht. Sie haben sich selbst neu erfunden«, sagte sie.
    Ein Schatten huschte über Joséphines Gesicht. »Ach, ehrlich? Wer hat dir das erzählt?«
    »Vianne.«
    Wieder dieser Blick. Wie ein Windhauch auf der Wasseroberfläche des Tannes. »Ja, wahrscheinlich kann man es so ausdrücken«, sagte sie. »Und was ist jetzt mit den Pfannkuchen?«
    Das Jubelgeschrei der Kinder genügte, um die heikle Situation aufzulösen. Jedenfalls ist Alyssa nichts aufgefallen, glaube ich. Aber Vianne scheint etwas gespürt zu haben. Sie merkt es immer sofort, wenn etwas Unausgesprochenes in der Luft liegt oder eine Geschichte nicht zu Ende erzählt wird. Ihre Augen, die so schwarz sind wie Espresso, können die Schatten des menschlichen Herzens blitzschnell erkennen.
    Ich schaute mich im Wohnzimmer um. Etwas hat sich hier verändert, seit Vianne da ist, aber ich kann nicht sagen, was. Liegt es am Kerzenlicht? Vianne hat überall Kerzen aufgestellt. Oder an den kleinen roten Säckchen, die sie in die Türrahmen gehängt hat, weil sie Glück bringen? Vielleicht sind es auch die Räucherstäbchen – der milde Duft von Sandelholz –, oder kommt es daher, dass draußen jemand Blätter verbrennt? Oder von den in Butter gebackenen Pfannkuchen oder den scharf gewürzten Würstchen auf dem Grill?
    »Ich hoffe, Sie haben Hunger«, sagte Vianne zu mir.
    Überraschenderweise war ich tatsächlich hungrig. Weil man spürte, dass es bald regnen würde, blieben wir im Haus, obwohl

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