Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
ihm denn sagen? Ich will ihm in die Augen sehen. Ich muss seine Farben lesen können.
Das Wetter schlägt um. Ich habe das vorhin schon gemerkt, als ich mich mit Omi in Les Marauds unterhalten habe. Der Wind weht immer noch stark, aber die Wolken mit den Engelsgesichtern haben schmutzige Füße. Ein Regentropfen landet auf meiner Wange, als ich oben auf dem Hügel stehe –
Der Schwarze Autan zieht heran.
Der Schwarze Autan
1
Montag, 23. August
Ich darf Ihnen natürlich nicht sagen, was sie mir erzählt hat. Das Beichtgeheimnis gilt, egal, ob es eine offizielle Beichte ist oder nicht. Aber sie war so bleich wie eine Hostie, nachdem sie mir ihre Geschichte offenbart hatte, und nichts, was ich von mir gab, konnte sie trösten.
»Ich weiß nicht, was ich ihr sagen soll«, murmelte sie. »Sie war so stolz auf mich und wie ich mich verändert habe. Die Welt stand mir offen, ich war bereit, die Flügel auszubreiten. Und jetzt bin ich genau wie alle anderen. Ich wohne immer noch hier, führe mein Café, werde immer älter …«
Ich sagte, meiner Meinung nach sehe sie keineswegs alt aus. Sie warf mir einen ungeduldigen Blick zu.
»Ich hatte so große Hoffnungen. Was ich alles tun wollte! Wo ich überall hinwollte. Daran erinnert sie mich, sie hat das alles getan, und dadurch fühle ich mich so …« Sie ballte die Faust. »Ach, was soll das Ganze. Manche Leute sitzen ihr Leben lang nur herum und warten auf einen bestimmten Zug, und irgendwann merken sie, dass sie es nicht mal bis zum Bahnhof geschafft haben.«
»Sie haben Ihre Pflicht erfüllt«, sagte ich.
Joséphine verzog das Gesicht. »Meine Pflicht.«
»Na ja, manche von uns müssen das tun«, sagte ich. »Wir können nicht alle wie Vianne Rocher sein und von einem Ort zum anderen ziehen, nirgends dazugehören, nie Verantwortung übernehmen.«
Erstaunt musterte sie mich. »Sie finden das nicht gut.«
»So meine ich es nicht. Aber weglaufen kann jeder. Man braucht mehr Kraft, um zu bleiben.«
»Haben Sie selbst das etwa vor?«, fragte sie. »Wollen Sie sich der Kirche widersetzen und hierbleiben?«
Streng wies ich sie darauf hin, dass es ihre Beichte war, nicht meine.
Sie lächelte. »Haben Sie überhaupt schon mal gebeichtet, Monsieur le Curé?«
»Ja, selbstverständlich«, log ich. Das heißt, es war keine richtige Lüge. Immerhin beichte ich ja Ihnen. »Wir brauchen alle jemanden, dem wir uns anvertrauen.«
Sie lächelte wieder. Sie lächelt mit den Augen. »Ich finde, man kann viel besser mit Ihnen reden, wenn Sie keine Soutane tragen.«
Tatsächlich? Für mich ist es eher schwieriger. Die Amtskleidung macht für mich alles so einfach. Ohne Soutane fühle ich mich unverankert, eine vereinzelte Stimme in der Menge. Interessiert es irgendjemanden, was ich sage? Hört mir überhaupt einer zu?
Als wir kamen, war Vianne im Garten und versuchte, den Grill anzuwerfen. Sie trug Jeans und eine ärmellose Bluse, die langen Haare hatte sie mit einem gelben Schal zurückgebunden. Sie hatte einen relativ windgeschützten Platz gefunden, aber die Luft war von dem Regen, der nicht richtig kommen wollte, so feucht, dass die kleinen Papierlampions, die sie überall im Garten aufgehängt hatte, großenteils wieder ausgegangen waren.
Sie begrüßte Joséphine mit einem Kuss und lächelte mir zu. »Wie schön, dass Sie gekommen sind. Sie bleiben doch zum Essen?«
»Nein, nein. Ich wollte nur …«
»Reden Sie lieber nicht weiter, sonst erzählen Sie mir noch als Nächstes, dass Sie so wahnsinnig viel in der Gemeinde zu tun haben.«
Ich musste zugeben, dass ich eigentlich nichts zu tun hatte.
»Dann essen Sie doch mit uns, in Gottes Namen! Oder brauchen Sie nicht zu essen?«
Ich grinste. »Das ist sehr nett von Ihnen, Madame Ro–«
Sie boxte meinen Arm. »Vianne!«
Joséphine sagte: »Tut mir leid, Monsieur le Curé. Wenn ich gewusst hätte, dass sie handgreiflich wird, hätte ich Sie nicht mitgenommen.«
Vianne lachte. »Kommt rein, damit wir ein Glas Wein trinken können. Die Kinder sind auch da.«
Ich folgte den beiden Frauen ins Haus. Irgendwie war ich durcheinander, aber da war noch ein anderes Gefühl, das ich allerdings nicht identifizieren konnte. Doch es war schön, an dem Herd in Armandes alter Küche zu sitzen, einer Küche, die jetzt viel enger wirkte als früher, weil ja auch noch vier Kinder anwesend waren und ein unerzogener Hund. Und alle miteinander vollführten irgendein wildes Spiel um den Küchentisch herum.
Bei dem Spiel musste man
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