Himmlische Verfuehrung
mit meinen Eltern und meinen jüngeren Geschwistern in Orlando Florida. Ich habe früher viele verrückte Sachen gemacht, was eigentlich schon als Extremsport galt. Mein Vater hatte mir schon mit zehn Jahren das Klettern an Bergen beigebracht. Natürlich war ich immer mit Seilen gesichert. Als ich dann älter wurde, bin ich dann oft mit meinen Freunden von Klippen gesprungen, habe Freeclimbing und Bungee-Jumping gemacht. Wir sind damals nicht nur von Baukränen, sondern auch von Türmen und Brücken gesprungen. Es hat einen riesen Spaß gemacht und uns ist nie etwas passiert. Bis an diesem einen Tag. Wir wollten von einer Brücke springen. Sie war so um die hundert Meter hoch. So genau weiß ich es gar nicht mehr. Ich stand mit einigen meiner Freunde oben auf der Brücke. Wir sicherten uns immer gegenseitig. Die Anderen, die nicht springen wollten, hatten sich unten auf die Wiese gestellt und schon mal alles für die Landung vorbereitet. Wie zum Beispiel ein großes Luftkissen aufgeblasen. Ich stand auf der Brüstung und hatte mir die Sicherheitsgurte umgelegt. Ein Freund kontrollierte noch einmal, ob auch alles richtig saß und fest war. Und dann war es soweit. Ich sprang. Es war ein tolles Gefühl. Die Freiheit, dieses in die Tiefe fliegen. Das Seil spannte sich einmal. Ich hörte ein Reißen und sah ein Teil vom Seil an mir vorbeifliegen. Ein starker Windzug brachte mich von meiner Flugbahn ab und anstatt ich auf dem Luftkissen landete, wurde ich in einen der Bäume, die neben der Wiese standen, geschleudert. Ich knallte auf einige Äste und fiel auf dem Boden.“ Er sah uns mit einem ernsten Blick an. Diesen Blick kannte ich eigentlich gar nicht von ihm. Sonst war er immer der Fröhliche, Lustige, der mit seinen Späßen jeden zum Lachen brachte. Aber seine Geschichte war weder lustig noch fröhlich. Sie war einfach nur traurig. Ein junger lebensfroher Mensch, der bei einem so tragischen Unfall sein Leben verlor. Sein Hobby wurde ihm leider zum Verhängnis. „Wenn ich euch erschrecke, müsst ihr es mir sagen, dann höre ich auf zu erzählen.“
„Nein, ist schon gut. Du kannst ruhig weiter erzählen“, erwiderte ich und Maya nickte zustimmend.
„Na gut. Also, ich hörte Schreie und meine Freunde waren gleich da. Ich nahm meine Umgebung gar nicht mehr so richtig war und konnte mich auch nicht bewegen. Alles tat mir weh. Der Schmerz betäubte mich. Ich hörte die Sirenen vom Krankenwagen und Sanitäter knieten vor mir. Ich wurde ins Krankenhaus gefahren. Ein Beatmungsgerät wurde angeschlossen und ich hatte eine Maske auf meinen Mund und der Nase. Im Krankenhaus wurde ich in die Notaufnahme geschoben und dann bin ich auf der Liege gestorben.“ Er wirkte traurig, als er den Satz beendete.
„Es muss schrecklich gewesen sein“, sagte ich leise und war bedrückt von dieser Geschichte.
„Ja war es. Ich durfte meine Familie und meine Freunde nicht mehr sehen. Ich nehme an, Sixt hat dir von den Regeln der Schutzengel erzählt.“
„Ja, das hat er“, erwiderte ich.
„Das Schrecklichste war aber, dass ich mein Kind nicht mehr sehen durfte.“ Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
„Du hast ein Kind“, fragte ich überrascht.
„Ja. Meine Ex-Freundin war von mir schwanger gewesen. Ich hatte es erst erfahren, nachdem wir uns getrennt hatten. Wir waren zwei Jahre zusammen gewesen, hatten uns aber auseinander gelebt und haben uns in Freundschaft getrennt. Ich war bei der Geburt dabei gewesen. Lilly heißt sie und ist letzten Monat sechs Jahre alt geworden. Ich hätte gerne gesehen, wie sie groß wird. Sie hat die gleichen Augen wie ihre Mutter und blonde gelockte Haare“, sagte er und ein Strahlen trat in seine Augen. „Es wäre so schön gewesen, wenn ich ihre Entwicklung, den ersten Kindergarten- und ihren ersten Schultag mitbekommen hätte.“ Das Strahlen verschwand und er wurde wieder traurig. Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Wie ich ihn trösten konnte. Nathan riss mich aus meinen Gedanken, als er auf die Uhr schaute.
„Oh wir müssten dann mal so langsam los. Unser nächster Kurs fängt gleich an. Ich hoffe, ich hab euch jetzt nicht zu sehr durch meine Geschichte erschreckt“, fragte er.
„Nein, das hast du nicht. Ich fand sie zwar sehr traurig, aber auch interessant“, versicherte ich ihm.
„Ja das fand ich auch“, sagte Maya und stand vom Sessel auf.
„Okay, kommst du nachher noch zu uns“, fragte mich Nathan und stand ebenfalls auf.
„Wenn Sixt mich hier herauslässt,
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