Himmlische Wunder
Mädchen, das Es war, aus dem Weg gegangen, um sich passendere Objekte der Begierde zu suchen.
Stattdessen wählte er mich aus – jedenfalls eine Weile. Und so fing alles an. Kein besonders origineller Start, aber am Schluss ging alles in Flammen auf, ganz wie es sein soll. Ich war sechzehn, und mithilfe meines Systems hatte ich das Beste aus mir gemacht. Ich war vielleicht noch ein bisschen mausig – eine Folge davon, dass ich so viele Jahre ein Freak gewesen war. Aber ich hatte schon damals viel Potenzial. Ich war ehrgeizig, wütend und ganz schön gerissen. Meine Methoden waren eher praktischer Natur als okkult. Ich kannte mich mit Giften und Kräutern aus, ich wusste, wie man Leuten, die einen ärgern, böse Bauchschmerzen anhängt, und ich begriff bald, dass eine Prise Juckpulver in den Socken eines Mitschülers oder ein paar Tropfen Chiliöl in der Wimperntusche eine schnellere und wesentlich dramatischere Wirkung haben als alle Zaubersprüche dieser Welt.
Und was Scott anging – er war leichte Beute. Männliche Jugendliche, selbst die Allerklügsten, werden nur zu einem Drittel von ihrem Verstand gesteuert und zu zwei Dritteln von Testosteron. Und mein Rezept – eine Mischung aus Schmeichelei, Glamour, Sex, Pulque und einer Minidosis Pilzpulver, das nur ein paar Erwählten unter den Kunden meiner Mutter zugänglich war – machte ihn in null Komma nichts zu meinem Sklaven.
Damit mich niemand falsch versteht: Ich war nie verliebt in Scott. Vielleicht war ich kurz davor – aber es reichte nicht ganz. Anouk braucht das nicht zu wissen, sie muss überhaupt die unerquicklicheren Details der Geschehnisse in St. Michael’s-onthe-Green nicht unbedingt erfahren. Ich habe ihr eine geglättete Version aufgetischt und sie zum Lachen gebracht. Scott McKenzie habe ich mit so viel Enthusiasmus geschildert, dass er sogar Michelangelos David in den Schatten gestellt hätte; dann erzählte ich ihr den Rest in einer Sprache, die sie versteht. Graffiti, Tratsch, Gemeinheiten, Schmutz.
Kleine Quälereien – jedenfalls zuerst. Gestohlene Klamotten,zerrissene Bücher, ausgeräumte Schließfächer, fiese Gerüchte. Ich war daran gewöhnt. Irrelevante Belästigungen, bei denen ich mir nicht die Mühe machte, mich zu rächen. Außerdem war ich ja fast verliebt und ziemlich schadenfroh, weil ich wusste, dass die anderen Mädchen mich beneideten – zum ersten Mal. Dass sie mich anschauten und sich fragten, was ein Junge wie Scott McKenzie an dem Mädchen, die Es war, finden konnte.
Für Anouk machte ich eine hübsche Geschichte daraus. Ich entwarf eine Serie ungefährlicher kleiner Racheaktionen – gemein genug, um eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns zu konstruieren, aber doch so harmlos, dass ihr zartes Herz nicht angegriffen wurde. Die Wahrheit ist weniger hübsch, aber das ist die Wahrheit ja immer.
»Sie haben es sich selbst zuzuschreiben«, sagte ich zu Anouk. »Du hast ihnen nur gegeben, was sie verdienen. Es ist nicht deine Schuld.«
Sie war immer noch blass. »Wenn Maman das wüsste!«
»Sag’s ihr einfach nicht«, riet ich ihr. »Außerdem, was ist denn Schlimmes passiert? Du hast doch niemandem wehgetan«, fügte ich mit nachdenklicher Miene hinzu. »Aber wenn du nicht lernst, diese Fähigkeiten richtig einzusetzen, dann passiert es dir vielleicht eines Tages, ganz aus Versehen –«
»Maman sagt, es ist nur ein Spiel. Es ist nicht real. Sie sagt, dass ich mir das alles nur einbilde.«
Ich schaute sie an. »Glaubst du das auch?«
Sie murmelte etwas vor sich hin, ohne mich anzusehen – ihr Blick ruhte auf meinen Schuhen.
»Nanou«, sagte ich.
»Maman lügt nicht.«
»Alle Menschen lügen.«
»Du auch?«
Ich grinste. »Ich bin nicht alle Menschen. Oder?« Ich machte mit dem Fuß eine kleine Kickbewegung, so dass aus dem mit Strass besetzten roten Absatz Lichtfunken blitzten, und stellte mir das entsprechende Funkeln in ihren Augen vor, eine winzige Reflexionin Rubinrot und Gold. »Mach dir keine Sorgen, Nanou. Ich weiß, wie du dich fühlst. Was du brauchst, ist ein System, das ist alles.«
»Ein System?«
Und dann erzählte sie mir davon, zuerst zögernd, aber dann mit wachsender Begeisterung, so dass mir ganz warm ums Herz wurde. Sie hatten früher ihr eigenes System gehabt, merkte ich; eine kunterbunte Sammlung von Geschichten, Tricks und Zaubersprüchen, dazu Medizinsäckchen, um die Geister zu bannen, Lieder, um den Winterwind zu besänftigen, damit er sie nicht davonblies.
»Aber
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