Himmlische Wunder
anprobieren?«
Sie blickte kurz hoch. »Meinst du, sie passen mir?«
Ich musste ein Lächeln unterdrücken. »Zieh sie an – dann weißt du es.«
»O, là là! Wie cool ist das denn?«
Sie stakste in den Stilettos herum wie eine neugeborene Giraffe, ihre Augen leuchteten, und sie streckte tastend die Hände aus, wie eine Blinde, und lächelte glücklich, ohne zu ahnen, dass ich unten auf die Sohle mit Bleistift das Zeichen der Herrin des Blutmondes gezeichnet hatte.
»Gefallen sie dir?«
Sie nickte und grinste plötzlich verlegen. »Ich finde sie super«, sagte sie. »Richtige Bonbonschuhe.«
Bonbonschuhe. Das Wort entlockte mir ein Lächeln. Irgendwie trifft es genau ins Schwarze. »Es sind deine Lieblingsschuhe, stimmt’s?«, sagte ich.
Sie nickte wieder, und ihre Augen blitzten wie Sterne.
»Du kannst sie haben, wenn du willst.«
»Ich kann sie haben? Für immer?«
»Warum nicht?«
Einen Moment lang war sie sprachlos. Sie hob den Fuß, eine Bewegung, die sowohl ungelenk als auch herzzerbrechend graziös war, beides gleichzeitig. Und dazu schenkte sie mir ein Lächeln, bei dem mir fast das Herz stehen blieb.
Aber plötzlich verdunkelte sich ihr Gesicht. »Maman würde nie erlauben, dass ich sie trage.«
»Maman braucht es nicht zu erfahren.«
Anouk schaute immer noch auf ihre Füße, beobachtete, wie das Licht von den roten Absätzen auf den Boden hüpfte. Ich glaube, sie ahnte schon, welchen Preis ich dafür verlangen würde, aber die Verlockung der Schuhe war zu groß, um Widerstand zu leisten. Schuhe können dich überallhin tragen, Schuhe können bewirken, dass du dich verliebst, Schuhe können dich in einen anderen Menschen verwandeln –
»Und es passiert auch wirklich nichts Schlimmes?«, fragte sie.
»Nanou.« Ich lächelte. »Es sind doch nur Schuhe.«
9
D ONNERSTAG , 6 . D EZEMBER
Thierry arbeitet schon die ganze Woche sehr hart. So hart, dass ich kaum mit ihm gesprochen habe; ich bin immer im Laden, und er renoviert die Wohnung, und dazwischen finden wir kaum eine Minute füreinander. Heute hat er mich angerufen, um mit mir über das Parkett zu reden (finde ich helle oder dunkle Eiche besser?). Er hat mich aber gleich gewarnt, ich solle ja nicht vorbeikommen. Hier herrscht das absolute Chaos, sagte er. Überall Gipsstaub, der halbe Fußboden ist herausgerissen. Außerdem will er sowieso, dass ich die Wohnung erst sehe, wenn alles perfekt ist.
Ich wage es natürlich nicht, nach Roux zu fragen, obwohl ich von Zozie weiß, dass er dort ist. Es sind jetzt fünf Tage, seit er plötzlich aufgetaucht ist, und bisher hat er sich noch nicht wieder gemeldet. Das wundert mich ein bisschen, obwohl ich mich eigentlich nicht wundern sollte. Ich sage mir, es ist besser so. Wenn ich ihn wiedersehen würde, brächte das doch nur Probleme. Aber es ist zu spät, der Schaden ist bereits angerichtet. Ich habe sein Gesicht gesehen. Und draußen höre ich das Windspiel klimpern, weil der Wind wieder auffrischt …
»Vielleicht sollte ich einfach mal vorbeischauen«, sagte ich so betont beiläufig, dass mir meine Lässigkeit niemand abgenommen hätte. »Ich finde es irgendwie nicht richtig, dass ich ihn nie sehe, und –«
Zozie zuckte die Achseln. »Klar – wenn du möchtest, dass er rausgeschmissen wird.«
»Rausgeschmissen?«
»Also ehrlich!« Sie klang ungeduldig. »Ich weiß nicht, ob es dir entgangen ist, Yanne, aber ich glaube, Thierry ist sowieso schon ein bisschen schiefäugig wegen Roux, und wenn du jetzt auch noch vorbeikommst, gibt es garantiert eine Szene, und eh du dich’s versiehst –«
Was sie sagte, leuchtete mir ein, wie immer. Zozie redet nie um den heißen Brei herum. Aber ich muss enttäuscht ausgesehen haben, denn sie grinste und legte mir den Arm um die Schulter. »Hör zu – wenn du willst, kann ich ja mal nach Roux sehen. Ich sage ihm, dass er jederzeit hier vorbeischauen kann, wenn er will. Ich bringe ihm auch ein paar Sandwiches mit, wenn du meinst –«
Ich lachte über ihren Eifer. »Ich glaube nicht, dass das nötig ist.«
»Mach dir keine Sorgen. Es wird schon alles gut werden.«
So langsam fange ich auch an, das zu glauben.
Madame Luzeron kam heute vorbei, auf dem Weg zum Friedhof, in Begleitung ihres flauschigen apricotfarbenen Hündchens. Sie kaufte, wie immer, drei Rumtrüffel, aber sie wirkt inzwischen weniger distanziert als früher, sie ist schon mal bereit, Platz zu nehmen und ein bisschen zu bleiben, eine Tasse Mokka zu trinken und ein Stück
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