Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
Ich in den weiten, offenen Raum der Seele zu fallen. Die Herrschaft des Ego ist dann gebrochen. Und das Leben kommt wiederin Fluss. Doch das Ego fürchtet ein offenes Herz, weil das Verlieben ins Leben ihm die Kontrolle entzieht. Hingabe und Ausliefern sind nicht seine Sache. Denn wenn ich mein Herz öffne und in die Liebe falle, mache ich mich, wie Hölderlin sagte, wehrlos. Und das mag das Ego gar nicht. Aus Sicht des Ego ist Eros subversiv.
Der subversive Eros – das ist ein großes und gefährliches Thema. Denn seien wir ehrlich: Jeder, der in einer festen Beziehung lebt, fürchtet ihn. Klar: Wo wir uns mit unseren Ich-bedingten Sicherheits- und Identitätswünschen in unseren Partnerschaften und Beziehungen eingerichtet, wo wir unsere sexuellen Sehnsüchte in Besitzverhältnissen organisiert haben, da ist der subversive Eros eine Schreckensvorstellung. Nicht ohne Grund, denn die Welt ist voller Geschichten, die davon erzählen, was für Unheil er anzurichten vermag. Deswegen muss sich genau da eine erotische Lebenskunst bewähren: da, wo sie das befreiende, Fixierungen lösende, Verkrustungen aufbrechende Potenzial des Eros aufnimmt; wo sie sich wehrlos macht und dabei doch das Ich integriert, dass es stimmige und passende Formen ausprägen kann, in denen wir unserem Verliebtsein ins Leben – und in andere Menschen – Gestalt geben können.
Gefahrlose Liebschaften
Denn sind nur reinen Herzens
wie Kinder wir, sind schuldlos unsere
Hände.
Friedrich Hölderlin
„Wie kann das gehen? Wie kann es uns gelingen, in erotischen Beziehungen zu leben, die nicht vom Ich und seinem Wunsch nach Haben und Besitzen beherrscht werden? Wie kann uns das gelingen, ohne Eifersuchtsdramen, Ehekrisen, Selbstzerfleischungen etc. auf uns herabzurufen?“ – Deine Fragen sind auch meine. Sie treiben mich seit langem um. Wieder und wieder. Denn es passiert einfach: Du begegnest jemandem und verliebst dich – obwohl du es nicht willst, obwohl du dich so erfolgreich abgelenkt hattest, obwohl du so geschäftig und beschäftigt bist, obwohl du keineswegs deine Beziehung gefährden wolltest. Aus dem Nichts trifft es dich. Du fällst in die Liebe – stolperst, stürzt. Verflixt. Was nun?
Ich habe dazu eine These: Wenn Eros in unser Leben tritt, dann ist es immer gut. Sich zu verlieben ist immer ein Geschenk, das uns das Leben macht. Nur – wie bei allen echten Geschenken – kommt es darauf an, dass wir uns seiner würdig erweisen, dass wir ihm gewachsen sind. Und das ist meistens nicht Fall. Jedenfalls ist es immer dann nicht der Fall, wenn wir es versäumt haben, erotisch erwachsen zu werden, und deshalb nicht in der Lage sind, souverän und frei mit dieser unerwarteten Verliebtheit umzugehen, sie in unser Leben zu integrieren.
Wohl dem hingegen, der die erotische Schule des Lebens schon ein Stück durchlaufen hat! Er wird nicht überrumpelt, wenn Eros zum Stelldichein bittet. Denn wer schon einen gewissen Grad erotischer Bewusstheit erreicht hat, wird fähig sein, sich frei in seiner Verliebtheit zuverhalten. Er wird sich nicht von ihr verwirren lassen, auch wenn sie einem hinreißenden Menschen gilt, sondern die innere Freiheit behalten, diese Verliebtheit darauf hin zu befragen, was sie zu sagen hat; sie als Wink zu deuten, der die Richtung weist, in die er sich entwickeln kann.
Warum? Weil der Mensch, in den ich mich verliebe, mir genau zeigt, wonach meine Seele dürstet und was mir fehlt. Er lebt etwas, das in mir noch nicht entwickelt ist. Ob er diese Eigenschaften nun real hat oder ob ich sie einfach auf ihn projiziere, ist dabei zweitrangig. Dem Eros geht es ums Ganze, um Vollständigkeit. Er sucht sich im Außen, was im Inneren fehlt. Es geht ihm ums Gleichgewicht. Und so verrät er uns viel über unsere Seele und ihre Bedürftigkeit. Es kommt nur darauf an, diesen Wink zu verstehen und sich vom Eros in die eigene Seele mitnehmen zu lassen: Warum geschieht das gerade jetzt? Was hat sie oder er, das ich nicht habe? Ich muss nur bei der neu auftauchenden Person genau hinschauen, um zu merken, wohin ich mich auf meinem Weg zur Reife entwickeln soll. Oft genug hat eine solche Situation meiner Partnerschaft zu neuem Schwung, neuer Energie und neuem Bewusstsein verholfen.
Wenn ich mich als Mann in eine zwanzig Jahre jüngere Frau verliebe, sollte ich mich fragen, welche Lebendigkeit mir abhanden gekommen ist, dass ich sie mir nun von außen holen muss. Möglicherweise werde ich dann feststellen, dass nicht Verbundenheit
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