Hin u Weg - Verliebe Dich Ins Leben
und Liebe mich bewegen, sondern allein das Ich mit seinem Wunsch nach Bestätigung. Sollte das so sein, dann sind Affären eine traurige Posse; dann fehlt der echte erotische Bezug zum Leben, und der Eros bleibt unentwickelt.
Aber was wird dabei aus dem Geliebten? Was wird aus der, mit der wir in die Liebe fallen? Er/sie ist doch mehr als nur ein Wegweiser, der uns unsere Bedürftigkeit spiegelt. Er/sie ist doch ein Mensch, mit dem wir uns zutiefst verbunden fühlen – und es sicher auch sind, denn sonst gäbe es keine Erklärung dafür, warum gerade er/sie uns so deutlich das spiegelt, wessen wir ermangeln – und nicht irgendjemand anderes. Zumal dann, wenn die Liebe wechselseitig ist.
Genauso ist es, deshalb sieht ein erwachsener, verantwortungsvoller Umgang mit einer solchen unverhofften Verliebtheit auch nicht so aus, dass wir die Daten des anderen auswerten und dann fröhlich unserer Wege gehen. Im Gegenteil: Wir heißen Eros willkommen und versuchen, der Verliebtheit, die uns verbindet, eine stimmige Form zu geben; eine Form, die zu unserem Leben passt, die es erlaubt, diese wunderbare Liebe, die uns geschenkt ist, so in unser Leben zu integrieren, dass sie uns kräftigt und stärkt.
Und das ist möglich. Absolut. Denn wenn wir in unserer erotischen Reife voranschreiten, tritt das Begehren zurück. Es geht uns nicht mehr so sehr darum, Sex zu haben, sondern Liebe zu sein. Wir müssen unseren Geliebten nicht mehr auf der Ich-Ebene an uns binden, weil wir uns jetzt mit ihm in der Seele verbunden wissen. Gewiss braucht es dafür seelische Reife; und ebenso gewiss ist, dass wir die seelische Reife in dem Maß erlangen, in dem wir in der Liebe sind – uns unserer selbst bewusst sind und all das Unerlöste und Hungrige durch das große Ja zu uns selbst integrieren. Je freier wir im Umgang mit uns selbst werden, desto freier werden wir im Umgang mit anderen. Wenn wir wirklich mit uns im Reinen sind, können wir uns in andere Menschen verlieben – nicht weil sie einen unerkannten Mangel in uns kompensieren, sondern weil wir uns unserer tiefen Verbundenheit in der seelischen Dimension bewusst sind.
Beziehungen, die in diesem Bewusstsein gelebt werden, sind erotisch und leidenschaftlich, aber doch frei vom Haben und Wollen. Wir können sie leben, ohne damit die Ehe oder Partnerschaft, für die wir uns entschieden haben und die unserem Leben Halt und Stabilität gibt, gefährden zu müssen. Im Gegenteil: Wir können sie leben, und sie werden uns und unsere Partnerschaften befruchten, inspirieren, intensivieren.
Aber was heißt das konkret? Nun, zunächst einmal, dass ich zu meiner Verliebtheit stehe. Ich nehme sie an, verdränge sie nicht. Ich gestehe sie mir ein, ich gestehe sie demjenigen, dem meine Liebe gilt – ja, vielleicht gelingt es mir sogar, sie meinem Partner einzugestehen.
Wenn ich mir wirklich meiner selbst sicher bin und weiß, dass ich diese Verliebtheit verantwortlich und souverän handhaben kann, wäre das jedenfalls eine Option; vorausgesetzt, dass mein Partner selbst weit genug in der erotischen Reife vorangeschritten ist, um die Chance zu erkennen, die auch für ihn oder sie darin besteht, wenn Eros in das Leben seiner/ihres Liebsten zurückkehrt – und frei ist, von der Eifersucht des Ich, das sich zurückgesetzt fühlt und sich nicht vorstellen kann, die ersehnte Stabilität der Beziehung auch dann zu erhalten, wenn ein anderer Mensch ins Leben des Partners getreten ist. Das klingt utopisch und kaum machbar, ist aber möglich, wenn wir wirklich souverän sind und innere Klarheit darüber haben, wo unsere Prioritäten liegen – wenn wir uns klar darüber sind, dass unsere Ehe oder Partnerschaft eine Tiefe der Verbundenheit erreicht hat, die weiter trägt, als es jede andere Verliebtheit es je zu leisten vermag.
Offenheit, Klarheit, Transparenz, getragen von tief gefühlter, begehrensfreier Liebe und innigem Vertrauen auf die seelische Verbundenheit zu Partner(in) wie Geliebtem/r, das wäre das Gebot der Stunde, wenn Eros uns Kapriolen schlägt, und – was die Sache erschwert – das nicht nur bei mir, sondern auch bei allen anderen Beteiligten. Gäbe es in unserer Kultur so etwas wie eine erotische Bildung, es wäre nicht unmöglich. So aber müssen wir uns eingestehen, dass die Chancen nicht gut stehen, mit „Affären“ dieser Art auf eine gute und erwachsene Weise umzugehen. Und was nun? Doch dichtmachen?
Nein, noch einmal: Wenn Eros kommt, verdient er es, begrüßt zu werden.
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