Hingabe
hätte Häme versprüht, und er hätte mich auch nicht gebeten, nach Hause zu kommen. Ist dies ein Zuhause? Ich dachte, ich hätte mir all diese Fragen beantwortet, bevor ich heute Abend hergekommen bin. Jetzt bin ich drauf und dran, allein in ein Hotel zu gehen.
Ich hasse dieses Gefühl. Ich hasse es, wie sie mich daran erinnert, was er sein kann und was er mit mir war. Mache ich mir etwas vor? Ist unsere Vergangenheit ein Spiegelbild der Person, die wir in Zukunft sein werden?
Und wenn ich so leicht zu verunsichern bin und alten Schmerz heraufbeschwöre, will ich dann wirklich bleiben und es herausfinden?
22
Der Dienstagmorgen beginnt mit einem Work-out und einem langen Plauderstündchen mit Chris’ Patentante. Am Vormittag habe ich mich trotz Sprachbarriere durchgerungen, die Haushälterin, Sophie, kennenzulernen. Kurz danach geht Chris in sein Atelier, um zu malen, und ich finde mich zusammen mit Chantal an der Kücheninsel wieder. Obwohl die Begegnung mit Sophie mich für meine morgendliche Lektion motiviert hat, steht mein Gehirn nach einem ziemlich schrecklichen Versuch mehrerer »einfacher« französischer Phrasen – das »einfach« kommt von Chantal, nicht von mir – kurz vor einer Explosion. Ich brauche einen zusätzlichen Koffeinschub. Also stehe ich von meinem Hocker auf, um meine Tasse nachzufüllen, und stöhne bei dem Protest meines sexwunden Körpers.
Chantal gesellt sich zu mir an die Kaffeemaschine. In ihrer engen Jeans und dem hellblauen Tanktop sieht sie entzückend aus. Sie scheint freundschaftliche Gefühle für mich zu entwickeln, statt das Ganze als Job zu betrachten. »Genug für heute. Du scheinst heute Morgen keine weiteren Vokabeln aufnehmen zu können.«
Ich heuchele Erschrecken. »Nicht? Ich dachte, ich mache meine Sache so gut.«
Sie grinst. »Richtig. So gut. Also, soll ich dir helfen, wieder wegen Ella herumzutelefonieren?«
Ich hatte es geschafft, die Rebecca-Geschichte zu verheimlichen, und habe ihr erzählt, die Ermittlung hinge mit meinem alten Boss zusammen, aber sie ist fest entschlossen, mir zu helfen, Ella zu finden. »Ich weiß zu schätzen, was du gestern getan hast, aber Rey sagte, wir hätten nur an Orten angerufen, an denen er bereits zuvor angerufen hatte.«
»Aber es scheint mir klug zu sein, jeden Tag die Krankenhäuser durchzutelefonieren.«
»Rey meint, er würde das ebenfalls regeln.« Ich trete ein Stück beiseite.
»Hallo«, erklingt eine bekannte Frauenstimme von der Treppe.
Mein überraschter Blick fällt auf Amber, deren langes blondes Haar einen auffälligen Kontrast zu ihrer schwarzen Jeans und dem schwarzen T-Shirt bildet. Sie hebt die Hände in einer gespielten Geste der Kapitulation hoch und gesellt sich zu uns. »Bevor du dich aufregst, ich habe mir nicht selbst aufgeschlossen. Chris hat meinen Schlüssel an sich genommen. Er und Rey waren draußen und haben sich unterhalten, als ich hier ankam, und es ist zu kalt, um vor dem Haus zu stehen.« Sie erschauert. »Ich habe meinen Mantel im Wagen gelassen und brauche dringend einen Kaffee.« Sie macht einen Schritt auf die Kanne zu, dann reißt sie sich zusammen. »
Falls
du nichts dagegen hast?«
Es erstaunt mich, dass sie Rücksicht auf mich nimmt, obwohl sie sich hier wie zu Hause fühlt. »Bedien dich«, sage ich und hoffe, dass ihre Bitte tatsächlich ein Fortschritt ist und nicht nur Vernebelungstaktik.
Erst jetzt sieht sie Chantal an. »Ich bin Amber. Eine alte Freundin von Chris.«
»Chantal«, erwidert sie und klingt dabei alles andere als freundlich. »Und ich bin eine
neue
Freundin von Sara
und
Chris.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Sara denkt, ich sei eine Freundin. Wir hatten einen holprigen Start.« Amber sieht mich forschend an. »Ich hoffe, wir können das ändern.« Sie geht zur Kaffeemaschine, ohne auf eine Antwort zu warten, als wisse sie, dass ich mich mit ihrer Aussage erst anfreunden muss. Und so wäre es auch.
Allerdings ist sie so nett, dass es mich argwöhnisch macht. Ich sehe Chantal an, die die Stirn fragend gerunzelt hat. Ich sage: »Amber und Chris kennen sich schon seit dem College.«
»Ja«, pflichtet Amber mir bei und gesellt sich zu uns an die Kücheninsel. »Es ist so eine Beziehung nach dem Motto: Wenn wir bis vierzig nicht verheiratet sind, sollten wir gemeinsam unsere Beziehungen beenden.«
Ich habe das Gefühl, als hätte sie mir hinterrücks einen Schlag versetzt, und Chantal schürzt missbilligend die Lippen.
»Nun«, sagt sie schroff, »da Chris
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