Hingebungsvoll
harmlose Frage, aber Julian bemühte sich, seine Antwort vorsichtig zu formulieren. „Gut, ganz gut. Wirklich. Du weißt ja, wie das ist. Es ist immer viel zu tun, ich habe eine Deadline einzuhalten und Dale arbeitet mit voller Kraft an der Expansion.“
Seine Großmutter schwieg und Julian fühlte, dass er wie wie ein trockener Halm einknickte. „Vivian und Dale haben Krach.“
Sicherheitshalber drehte er sich mit dem Schreibtischstuhl um die eigene Achse, denn Vivian hatte in solchen Momenten die Angewohnheit, einfach aus dem Boden zu wachsen. Sie war jedoch nirgends zu sehen. Er überlegte, ob es übertrieben war, noch unter dem Bett nachzusehen. Nur aufgrund des Wissens, dass Vivian ihn bereits umgebracht hätte, falls sie mitgehört hätte, blieb er sitzen.
Seine Oma war stets besorgt gewesen, weil Vivian nie einen „festen Freund“ gehabt hatte und irgendwann war Julian weich geworden. Mit wenigen, aber romantisch ausgeschmückten Details hatte er die Beziehung von Vivian und Dale geschildert. Das hatte Oma gefallen – sie war lediglich etwas gekränkt gewesen, dass Vivian nie etwas von sich aus erzählt hatte.
Julian hatte sich damit herausgeredet, dass Dale und Vivian es sowieso für sich behielten und eine Art Beziehung auf Probe führten. Er wusste, dass Vivian ihrer Granny nur nichts davon erzählt hatte, damit diese nicht direkt auf eine Heirat oder ähnliches drängte. Bald war der Zeitpunkt, es doch zu erzählen, so weit verstrichen, dass es Vivian unangenehm geworden war. Sie ahnte nicht einmal, dass ihr schwacher Bruder immer brühwarm am Telefon Bericht erstattete, weil er nichts geheim halten konnte.
„Wo drückt denn der Schuh?“ Er konnte Besorgnis in ihrer Stimme hören und spürte, wie die Erleichterung, endlich mit jemandem zu reden, ihn durchflutete.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, sowohl Dale als auch Viv benehmen sich wie Kindergartenkinder. Sie hatten Streit und Dale hat sich drei Wochen versteckt – nicht einmal in den Club ist er gekommen, während Vivian mir auf die Nerven gefallen ist! Ich habe in der Zeit nicht ein einziges Wort schreiben können. Jetzt ist er wieder da, die beiden schleichen umeinander herum, Edgar hat Streit mit Erica und keiner kümmert sich um den neuen Club. Es ist grauenvoll!“, jammerte Julian inbrünstig in den Hörer.
„Das klingt ja gar nicht gut.“
„Und heute war meine Post nass, weil Vivian sich einen Hund angeschafft hat.“ Er war gerade so richtig in Fahrt gekommen und genoss das stille Mitleid, das seiner Meinung nach durch den Hörer floss.
„Einen Hund?“, vergewisserte seine Oma sich verwundert.
„Ja, ich habe ihn noch nicht gesehen, aber Dale hat es mir erzählt.“
„Wohl ein Kinderersatz, was?“ Sie kicherte und Julian musste ebenfalls grinsen. Er wusste, dass sie es nicht ernst meinte, doch das war genau die Art von Bemerkungen, aufgrund derer Vivian in Wut geriet.
„Wenn sie und Dale sich nicht so anstellen würden, bräuchte sie keinen Hund“, grummelte Julian erbost.
„Und wer ist Edgar, der charmante Mann, den ich öfter am Hörer habe, wenn ich anrufe?“
„Eher wortkarg als charmant“, murmelte Julian. „Ihm gehört auch ein Teil des Clubs. Ich sage dir, hier tobt das Chaos und ich sitze zwischen allen Stühlen.“
„Kommst du denn mit der Arbeit voran?“
Julian seufzte und rieb sich über die Augen. „Einigermaßen, aber meine Deadline werde ich niemals einhalten, selbst wenn ich Tag und Nacht arbeite. Meine Agentin will, dass ich in Neu-England auf Lesereise gehe.“
„Das wäre doch eine tolle Gelegenheit, mal herauszukommen, nicht wahr? Du sitzt eh zu viel in deinem düsteren Zimmer.“
„Mein Büro hat große Fenster“, entgegnete er gelassen. Seine Oma drängte immer darauf, sie endlich in Boston besuchen zu kommen. Angeblich wollte sie sich nur einmal ansehen, wie ihre geliebten Enkel wohnten. Egal, wie oft Julian und Vivian ihr versicherten, dass es vier Wände und ein Dach gab: Sie fing immer wieder damit an. Doch bisher waren ihnen genug Ausreden eingefallen, denn Oma wusste zwar, dass sie über einem Club wohnten, hielt das Aviditas aber glücklicherweise für eine Diskothek.
Dale hatte es sogar geschafft, sie davon zu überzeugen, dass es sich um eine Lokalität für Prominente und Reiche handelte, weshalb in der Zeitung nie davon zu lesen war. Alles ganz geheim und zurückhaltend, schließlich wusste jeder, dass gerade Prominente viel wert auf ihre Privatsphäre
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