Hinreißend untot
beraten; er sollte mich kontrollieren. Marlowes Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass er das wusste. »Wir finden einen Weg, Sie davon zu befreien. In der Zwischenzeit bietet Ihnen der Senat seinen Schutz an.« Ich verdrehte die Augen, und Mac schnaubte.
»Ja«, sagte Mac verächtlich. »Ersetzen Sie ›Schutz‹ durch ›Gefängnis‹, und …« Marlowe ignorierte ihn. »Sie sollten daran denken, dass der Senat Sie trotz der Fehleinschätzung von Lord Mircea geschützt hat. Was hingegen die Magier betrifft, lassen die Fakten nur einen Schluss zu: Sie wollen ihre Kandidatin auf dem Thron der Pythia und sind bereit, jedes Mittel zu nutzen, um dieses Ziel zu erreichen – dazu gehört auch ihre Ermordung.«
»Eine weitere Lüge!« Mac stand auf.
Er schien wütend genug zu sein, Marlowe an die Kehle zu fahren, aber er bekam keine Gelegenheit dazu. Ich hörte ein Rascheln, und die Wurzeln, die mich seit Stunden nervten, schlangen sich schneller um Mac, als ich blinzeln konnte. Er versuchte, etwas zu sagen, aber ich verstand ihn nicht. Nach wenigen Sekunden zeigten sich nur noch seine zornig funkelnden Augen über seilartigen Wurzeln, einige von ihnen so dick wie mein Arm. Es schien sinnlos zu sein, gegen sie anzukämpfen, aber er versuchte es trotzdem. Marlowe erging es ähnlich, aber er saß ruhig da und leistete keinen Widerstand. Zwar war Marlowe der kräftigere der beiden Männer, doch bei ihm schienen die Wurzeln lockerer zu sitzen als bei Mac – sie reichten ihm nur bis zur Brust. Vielleicht hielten einen die Wurzeln weniger fest, wenn man nicht gegen sie ankämpfte. Ich folgte Marlowes Beispiel und hoffte, dass sie mich verschonten. Dann merkte ich, dass die Wurzeln nicht das einzige Problem waren.
»Wir sind keine Spione«, sagte Marlowe laut und wie in die leere Luft. »Ihr seid ohne Erlaubnis in unserem Land«, lautete die Antwort. »Deshalb seid ihr das, für was wir euch halten.«
»Wer bist du?«, fragte eine gebieterische Stimme. Ein puppenartiges Geschöpf flog hinter Marlowe hervor und schwebte vor meinem Gesicht. Es war etwa sechzig Zentimeter lang, hatte einen dichten Schopf aus feuerrotem Haar und lange, hellgrüne Flügel. Es dauerte einige Sekunden, bis ich sie als die Fee erkannte, die ich eine Woche zuvor im Dantes gesehen hatte. Bei jener Gelegenheit war sie nur zwanzig Zentimeter groß gewesen, aber das konnte mich nicht darüber hinwegtäuschen, mit wem ich es zu tun hatte. Ich hatte vor ihr kein anderes Geschöpf aus dem Feenland gesehen, und erste Eindrücke dieser Art setzten sich fest.
»Geben Sie nicht Ihren Namen preis!«, sagte Marlowe schnell. Die Fee sah ihn an und runzelte die Stirn, woraufhin sich ihm eine dicke Wurzel mit einer Knolle dran zwischen die Lippen schob. Zu Glück für ihn mussten Vampire nicht atmen, denn der ersten Wurzel folgten weitere. Sie wickelten sich ihm ums Gesicht, bis nur noch seine braunen Locken zu sehen waren. Besser konnte man niemanden knebeln – allem Anschein nach musste ich von jetzt an auf Hilfe verzichten.
»Ich bin die Pythia«, sagte ich und fand, dass ein Titel besser war als mein Name. Soweit ich wusste, konnte man ihn nicht bei irgendwelchen Beschwörungen benutzen. »Wir sind uns schon einmal begegnet, im Dante’s …«
»Das bringt mir eine große Belohnung ein«, sagte die Fee und ignorierte meinen Versuch, auf unsere kurze Bekanntschaft zurückzukommen. »Packt sie.« Zahlreiche zottelige Wesen kamen zwischen den Bäumen hervor, ausgerüstet mit Keulen und in Leder gehüllten Schilden. Ich wusste nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe machten, Waffen zu tragen – ihr Gestank reichte aus, um jeden Gegner außer Gefecht zu setzen. Zwei sehr alt wirkende Geschöpfe hielten auf mich zu. Es sah aus, als hätten zwei schaurige Bäume ihre Wurzeln aus dem Boden gezogen und beschlossen, einen Spaziergang zu machen. Der nächste hatte mehr oder weniger menschliche Gestalt, wenn Menschen normalerweise eins zwanzig groß und mindestens ebenso breit gewesen wären. Doch sein Haar hatte die Farbe der Flechten auf den Wurzeln – ein helles, flammendes Rot, trotz der Schmutzkruste –, und die Augen zeigten das gleiche Dunggelb wie die Zähne. Die Haut war so knorrig wie alte Rinde, und ihre Farbe entsprach genau der des Waldbodens. Er trug nur ein kleines Lendentuch aus Eichen blättern, das fast ganz unter den Falten des dicken Bauchs verschwand. Sein Partner mochte etwa dreißig Zentimeter größer sein, war dafür aber nicht so breit.
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