Hinreißend untot
ob er überhaupt einen hatte. In einem Punkt war ich mir sicher: Es war bestimmt kein gutes Zeichen, dass er grünliches Blut verlor. »Jetzt reicht’s.«
Ich krabbelte unter dem Tisch hervor und stand auf. Es herrschte ein unvorstellbarer Lärm, und die wenigen Sekunden, die ich beschäftigt gewesen war, hatten die Küche in ein Trümmerfeld verwandelt. Deino, inzwischen wieder im Besitz des Auges, taumelte auf der anderen Seite des Raums, mit vier Gargoyles an jedem Arm und einem weiteren auf dem Rücken – er schlug ihr immer wieder ein Nudelholz auf den Kopf. Enyo präsentierte sich in ihrer ganzen blutverschmierten Pracht, hatte die Gargoyle mit den Ohrringen hoch über ihren Kopf gehoben und schickte sich an, sie durch die Küche zu werfen. Der Wurf allein hätte sie vielleicht schon getötet, und wenn nicht, wäre die Landung auf den Messern, die eine grinsende Pemphredo bereithielt, sicher ihr Ende gewesen.
Ich holte tief Luft und schrie lauter als jemals zuvor in meinem Leben. Die Gargoyles achteten nicht auf mich, aber die drei Graien hielten inne und sahen mich fragend an. Keine von ihnen wirkte besonders verärgert. Der einzige Gesichtsausdruck, den ich bei ihnen entdeckte, war Pemphredos schiefes Grinsen. »Aufhören«, sagte ich mit halbwegs normaler Stimme. »Als ich davon sprach, dass ihr für mich kämpfen sollt, hat sich das nicht auf diese Geschöpfe bezogen.«
Pemphredo lachte gackernd und machte eine pumpende Bewegung mit der Faust. Enyo sah mich mürrisch an, setzte die Gargoyle aber ab – das Wesen fauchte leise und wankte benommen fort. Deino schaffte es trotz der an ihr hängenden Gargoyles, zu Enyo zu schlurfen und ihr das Auge zu reichen, doch ihre Schwester winkte auf eine nicht sehr liebenswürdige Art ab. Pemphredo eilte herbei, nahm das Auge aus Deinos Hand und strahlte triumphierend. Mir dämmerte etwas. »Ihr habt um mich gewettet?« Enyo setzte sich auf den großen Zubereitungstisch, stieß einige wie menschliche Augen aussehende Radieschen beiseite und wirkte niedergeschlagen. Der Grund dafür war mir nicht ganz klar. Offenbar konnte sie auch ohne das Auge sehen – gut genug, um zu kämpfen –, aber es schien sie trotzdem sehr zu deprimieren, diese Runde verloren zu haben. Die Gargoyles hatten ihre Angriffe unterbrochen, als der Anführerin keine Gefahr mehr drohte, doch sie beäugten die Graien mit verständlicher Sorge. Einige der näheren Exemplare sahen nach ihren auf dem Boden liegenden Gefährten, und einer von ihnen zog Eselsohr fort. Sein Haarnetz hatte sich gelöst, und er kam langsam zu sich. Ich hoffte, dass er sich erholte, konnte ihm aber nur helfen, indem ich sicherstellte, dass wir ihm nicht noch mehr Schaden zufügten. Mit einer Hand griff ich unter den Tisch und zog Casanova an seiner teuren Krawatte darunter hervor. »Sag ihnen, dass wir jetzt gehen.«
»Von wegen!« Pritkin verließ die Deckung des Tisches – mit seiner blutbefleckten Kleidung und dem verfilzten Haar sah er wie ein Irrer aus. Finster schaute er sich um, bis er die Gargoyle entdeckte, die Enyo nicht geworfen, sondern auf den Boden gesetzt hatte. »Wir gehen erst, wenn sie den
Geis
entfernt hat!«
»Miranda!«, rief Casanova mit erstickter Stimme. Mir wurde klar, dass ich die Krawatte vielleicht ein wenig zu fest hielt.
Die Gargoyle näherte sich. Ihrem pelzigen Gesicht war nicht viel zu entnehmen, aber ihre Körpersprache deutete auf keine große Kooperationsbereitschaft hin. Wenn jemand
mürrisch
gehen konnte, brachte sie es fertig. Sie stieß Pritkin an den Bauch, vielleicht deshalb, weil sie seine Brust nicht erreichen konnte. »Dir gut geht. Wir sssicher. Guter Handel.« Er versuchte, sie zu packen, aber Miranda entwand sich seinem Griff mit einer fließenden Bewegung, die nur möglich zu sein schien, wenn sie sich etwas ausrenkte. Und vielleicht hatte sie sich tatsächlich etwas ausgerenkt, denn sie legte die Ohren an und zischte, zeigte dabei eine gar nicht katzenartige gespaltene Zunge. Sie verschränkte die Arme und blieb breitbeinig und mit zuckendem Schwanz hinter Casanova stehen.
»Ich gebe mich nicht mit Feen-Angelegenheiten ab«, sagte Pritkin hochmütig, als sei so etwas unter seiner Würde. »Es ist mir gleich, ob ihr mit Genehmigung hierhergekommen seid oder nicht. Von mir habt ihr nichts zu befürchten. Nimm jetzt den Zauber weg!«
»Was ist hier los?«, fragte ich Casanova, der seine Krawatte zurechtrückte. Er warf mir einen bösen Blick zu, was ich ihm eigentlich
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