Hinreißend untot
beobachtete mich mit einem dunklen Auge. Offenbar hatte ich den richtigen Ort gefunden.
Der Tätowierte bemerkte meinen faszinierten Gesichtsausdruck und lachte. »Die Läden, in denen man Schmetterlinge und Blumen bekommt, befinden sich in einem anderen Viertel der Stadt, Schätzchen.« Der Typ sah zwar wie ein Heils Angel im Ruhestand aus, sprach aber mit einem leichten Akzent. Vielleicht kam er aus Australien. »Und ich habe für heute alle meine Termine gestrichen. Muss mich um einen wichtigen Job kümmern.«
»Ich bin nicht wegen einer Tätowierung gekommen«, sagte ich und versuchte, nicht zu auffällig auf den doppelschneidigen Zeremoniendolch zu starren, von dessen Spitze sich alle paar Sekunden ein roter Tropfen löste und unter dem zerfransten oberen Rand der abgeschnittenen Jeans verschwand. »Pritkin meinte, dass ich ihn hier finden könnte. Ich hab was zu essen mitgebracht.« Ich hob die Tüten, und die Miene des Mannes erhellte sich. »Also sind Sie Cassandra Palmer«, sagte er und wirkte überrascht. Ich nickte und fragte mich, was er erwartet hatte. Auf die Frage, wie Pritkin mich beschrieben hatte, verzichtete ich. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Ich bin Archie McAdam, aber meine Freunde nennen mich Mac.«
»Cassie«, sagte ich und schüttelte die ausgestreckte Hand. Die größeren Tattoos des Mannes waren von einem regelrechten Wald aus tätowierten Blättern und Ranken umgeben, und sie raschelten wie in einem leichten Wind. Aus den dunklen Bereichen unterhalb der Blätter beobachteten mich zwei bösartig starrende orangefarbene Augen.
Mac hielt den Vorhang beiseite, und ich zwängte mich am Tresen vorbei und betrat den hinteren Teil des Studios. Das Erste, was ich dort sah, war Pritkins Rücken. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf einer gepolsterten Bank, ohne Hemd, und den Kopf zur anderen Seite gedreht. Da er dauernd in irgendwelche Schwierigkeiten zu geraten schien, hatte ich damit gerechnet, dass sein Rücken viele alte und neue Narben zeigte, aber das war nicht der Fall. Nur ein dünnes Filigranmuster aus weißen Linien verunstaltete ein Schulterblatt – es sah fast nach Krallenspuren aus. Abgesehen davon bedeckte makellose Haut stärkere Muskeln als erwartet. Nur an der linken Seite sah ich die blassen violetten Konturen einer Tätowierung. Sie war etwa halb fertig, und es musste noch Farbe hinzugefügt werden. Ich erkannte ein sehr gut dargestelltes stilisiertes Schwert und fand, dass Pritkin einen seltsamen Zeitpunkt für Body-Art gewählt hatte. Aber dies war seine Stunde; er konnte sie so verbringen, wie er wollte.
Mac hob einen Spiegel, um seinem Kunden das Bild zu zeigen, und Pritkin schaute mürrisch drein. »Ich halte es noch immer für zu ausgefeilt. Ein einfaches Schwert genügt mir.«
»Was soll das heißen, zu ausgefeilt?«, erwiderte Mac ungläubig. »Sieh dir nur die Linien an, die kunstvolle Ausarbeitung. Ich habe mich selbst übertroffen!« Pritkin schnaubte, und in gewisser Weise konnte ich ihn verstehen. Ihm schien ein langer Tag bevorzustehen. Die Klinge des Schwerts reichte über seine ganze Seite und endete über der Hüfte. Die Jeans war so weit nach unten geschoben, dass der Tätowierungsstift den oberen Teil der einen Hinterbacke erreichen konnte. Der größte Teil des Rückens zeigte, wie auch die Arme und das Gesicht, einen goldenen Ton, als hätte er viel Zeit in der Sonne verbracht, ohne leicht zu bräunen. Doch der untere Teil des Rückens und die Hüften gingen erst in einen pfirsich- und dann einen cremefarbenen Ton über, ohne dass es einen erkennbaren Bräunungsstreifen gab. Ich fragte mich, ob sich die einzelnen Bereiche unterschiedlich anfühlten und wie es sein mochte, mit den Fingern darüber zu streichen, schob diese Gedanken dann aber abrupt zur Seite und wandte den Blick ab, erschrocken darüber, dass ich solche Überlegungen ausgerechnet mit
Pritkin
verband. Die Nähe zu Inkuben schien einige sehr sonderbare Nebenwirkungen zu haben.
»Kleine Pause, John«, sagte Mac. »Dieses hübsche junge Ding bringt was zu essen!«
Pritkin setzte sich auf, legte die übliche finstere Miene auf und kehrte uns den Rücken zu, als er den Reißverschluss seiner Jeans zuzog. Er hatte eine neue gekauft oder sich eine von Mac geliehen, denn sie war ohne Blutflecken. Mit einem Lächeln täuschte ich über mein Unbehagen hinweg. »John?«
»Das ist ein guter, ehrlicher englischer Name«, erwiderte er scharf und schien aus irgendeinem unerfindlichen
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