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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wegen des vielen Schneebluts in ihr.
    Und Clarissa drückte sie an ihren Busen und hörte ein Schnuppern oder bildete es sich ein und umarmte zwei Stunden lang einen von jedem Frausein Lichtjahre entfernten Körper. Dann legte sie ihn behutsam wie ein Neugeborenes aufs Laken zurück, küßte Dinah auf die Stirn und setzte sich neben das Bett still auf einen Stuhl.
    Alles in Clarissa war aus Haß. Und nur wenig davon verschwand im Lauf der Jahre, die folgten, in dem Club in Berg am Laim, der Dinahs Namen trug.
    In ihrer Wohnung, die früher Dinah gehört und die sie Clarissa vererbt hatte, gab es kein weißes Zimmer mehr. Acht Wochen nach der Beerdigung hatte Clarissa die Laken, mit denen sie nicht nur das Bett bezogen, sondern auch die Möbel verhängt hatte, und die Gardinen, die sie auf Wunsch ihrer Freundin gekauft hatte, abgehängt, gewaschen und im Schrank verstaut.
    An manchen Sonntagen, wenn sie allein im Zimmer saß, in dem Dinah gestorben war, versank sie in Erinnerungen und wunderte sich, wie ungeniert die Zukunft begonnen und ihr Glück in Gestalt eines Lieblingsmannes gebracht und ein solides Einkommen in Gestalt tausender fremder Männer beschert hatte.
     
    Nur einer störte. Einer hatte sich in ihre Gegenwart geschlichen, und dort gehörte er nicht hin. Er, von dem Hans nur flüchtig das Gesicht kannte und dessen Namen er wieder vergessen hatte, lauerte ihr seit mindestens eineinhalb Jahren auf, genau wußte sie es nicht. Durch Zufall hatte sie sein Gesicht an einem Schaufenster in der Theatinerstraße vorbeihuschen sehen, und als sie nach ihm Ausschau hielt, war er verschwunden.
    Wenige Tage später überfiel sie beim Verlassen ihrer Wohnung eine seltsame Ahnung, und sie beschloß, nicht in ihr Auto zu steigen und statt dessen zu Fuß zu gehen, um herauszufinden, ob sie sich getäuscht hatte. An der Ecke zur Riesenfeldstraße, die Milbertshofen in nördlicher Richtung bis zur Moosacherstraße durchquert, zögerte sie. Sie drehte den Kopf nach rechts und links, als würde sie auf eine Gelegenheit warten, zwischen den heranpreschenden Fahrzeugen auf die andere Seite zu gelangen, und setzte dann ihren Weg auf dem Bürgersteig fort, bis sie an der Keferloherstraße erneut stehenblieb. Mit einem Ruck wandte sie sich um.
    In etwa zweihundert Metern Entfernung huschte ein Mann in einen Hauseingang. Er trug einen grauen Mantel und einen karierten Hut, und Clarissa hatte keinen Zweifel, um wen es sich handelte. Sie bewegte sich nicht von der Stelle. Passanten kamen ihr entgegen. Sie achtete darauf, daß niemand ihr die Sicht versperrte. Nach fünf Minuten machte sie sich auf den Rückweg. Dort, wo der Mann sich versteckt hatte, befand sich ein Durchgang zu einem Innenhof.
    Sie ging an einem Schreibwarenladen und einem Backshop vorbei zur Rückseite der Wohnanlage. Niemand außer ihr hielt sich dort auf. Ein verlassener Sandkasten, ein altes, hölzernes Klettergerüst, eine mit Graffiti besprühte Parkbank, eine verwitterte Tischtennisplatte aus Stein und eine Reihe halbverrosteter Eisenhalterungen für Fahrräder bildeten ein trostloses Ensemble. Es glich dem, das Clarissa von ihrem Wohnzimmer aus sah und über das hinweg ihr Verfolger sie von seiner Wohnung aus mit einem Fernglas beobachtete. Warum er das tat, wußte sie nicht, ebensowenig, wann er dort drüben eingezogen war. Auf der Klingeltafel an der Haustür stand nicht sein Name, allerdings waren zwei Schilder unbeschriftet.
    Lange hatte sie nicht mehr an ihn gedacht, und darüber war sie froh. Denn er hatte begonnen, sie zu belästigen und zu bedrängen und sie nachts, nach der Arbeit, auf der Straße abzupassen. Sein Bekenntnis änderte sich nie: Sie sei die wahre Frau für ihn, seit er sie getroffen habe, begreife er den Sinn seines Daseins, und er könne ihr eine Existenz bieten wie sonst niemand. Und wenn sie ihn verstoße, würde sie auch sich selbst verstoßen und eines Tages auf ein verkehrtes Leben zurückblicken und als gescheiterter Mensch sterben müssen, so wie auch er ein gescheiterter Mensch sein würde.
    Er wurde nie laut, wenn er so redete. Anfangs fand sie ihn charmant und die Art, wie er sich ihr gegenüber verhielt, aufrichtig und anrührend. Doch nach einigen Monaten, nachdem sie ihm wiederholt und eindringlich erklärt hatte, daß sie weder seine Frau noch seine Freundin oder Geliebte werden würde, er aber weiter Gast im neu eröffneten Club Dinah sein dürfe, steigerten seine trotzigen Annäherungsversuche ihren Zorn bis zu dem

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