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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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dazukommen wolle.
    Dabei wies sein Terminkalender keine leere Seite auf, jeden Tag eine Verpflichtung: Texte im Radio lesen, Synchronisation, Dreh für eine TV-Produktion, die regelmäßige »Morgenroth-Saga«, Abendlesung mit Lyrik oder Prosa namhafter Autoren, Hörbucheinspielungen.
    Ausgebucht.
    Unterwegs. Gelegentlich bis nach Wien und Hamburg, quer durch die Republik, auch Bern.
    Trotzdem Angst.
    »Deine Agentur taugt nichts«, sagte Jana, seine Frau.
    »Die Sender müssen sparen«, sagte er. »Alle müssen sparen. Junge Gesichter bringen Quoten, oder die alten. Die mittleren Gesichter braucht niemand, die kann man überspringen, ihre Rollen laufen nur so mit. Außer, man hat eine Hauptrolle.«
    »Deine Agentur taugt nichts.« Seine Frau sagte auch oft: »Wieso hast du die Hauptrolle in dem Dreiteiler nicht gekriegt? Das hättest du leicht spielen können.« Sie sagte auch: »So kannst du nicht weitermachen, Walter, du bist nicht mehr dreißig, du bist nicht mehr vierzig, du bist Anfang fünfzig, du mußt dich mehr reinhängen. Das versuch ich schon den Kleinen im Kindergarten zu vermitteln: daß sie sich einsetzen müssen, daß sie Verantwortung tragen, daß von nichts gar nichts kommt.«
    »Aber die sind doch erst fünf Jahre alt«, sagte er.
    »Die begreifen das schon.«
    »Aber wozu?«
    »Bitte?«
    »Wozu sollen die Kinder so was begreifen? Das ist doch schrecklich.«
    »Kümmere dich um dein Leben, bitte.«
    Auch seine Frau schüchterte ihn ein, wie das Leben.
    Vor lauter Angst zu versagen versagte er nur noch. Vor lauter Angst, zu spät zu einem Termin zu erscheinen, hetzte er sich ab und schwitzte aus allen Poren und mußte sich kratzen. Vor lauter Angst, zu farblos und unauffällig zu wirken, trug er beim Vorsprechen unangebracht schrille Kleidung und manövrierte sich in ein Spielen hinein, das ihm selber peinlich war. Vor lauter Angst, die Rolle noch vor dem ersten Drehtag wieder zu verlieren, nervte er die Produzenten mit irrwitzigen Vorschlägen zur Gestaltung seiner Figur, so daß der niederschmetternde Anruf dann tatsächlich erfolgte. Vor lauter Angst, kein Geld mehr zu verdienen und mit Mitte fünfzig von Sozialhilfe leben zu müssen, fand er keinen Schlaf. Er hatte keinen Hunger mehr, und die Freude kam ihm abhanden. Unter Janas Beschimpfungen duckte er sich weg. Und als sie ihm mitteilte, sie würde ausziehen und die Scheidung einreichen, sagte er kein Wort. Und anschließend blieb ihm zum erstenmal für einige Stunden die Stimme weg.
    Panisch klappte er den Mund auf und zu, stieß dumpfe Laute aus und glaubte zu ersticken. Er beugte sich tief übers Balkongeländer und atmete mit aufgerissenem Mund und bemerkte seinen Nachbarn nicht, der von seinem Balkon herüberschaute und seine Frau aus dem Wohnzimmer herbeiwinkte.
     
    Vor lauter Angst, auch noch aus der Morgenroth-Saga rausgeschrieben zu werden, nahm er sich vor, den vor Gericht stehenden und verzweifelt sein Handeln rechtfertigenden Rudolf von Lodern weniger emotional und polternd zu zeigen. Er wollte einen mehr mit sich ringenden, zur Einsicht und zum Schuldbewußtsein hin drängenden Mann auftreten lassen, der auf diese Weise später, wenn er nach seinem Gefängnisaufenthalt in die Familie zurückkehrt, um so glaubhafter in seiner Demut wirken würde.
    »Was spielen Sie da?« fragte der Regisseur. »Wenn Sie anfangen, die Figur zu verändern, werde ich Sie leider verabschieden müssen, Herr Madaira. Für Selbstdarstellungsergüsse haben wir keine Zeit. Und jetzt noch mal von vorn, und zwar vernünftig, Walter.«
    Nachdem er vernünftig weitergespielt hatte, dauerte es noch einen Monat bis zum 30. April.
    »Du gehörst zu denen, die sich keine Sorgen machen müssen«, sagte der Produzent und erhob sein Bierglas und schwenkte es vor versammelter Mannschaft. »Auf unseren Walter, den Spitzenkoch mit der Supernase.«
    Einige Darsteller und Techniker lachten und klatschten, aber ihre Blicke, das sah Madaira, huschten an ihm vorbei, manche verzogen keine Miene. Im Gegensatz zu ihm hatten sie in den nächsten Monaten ein Auskommen. Auf dem Studiogelände grüßten ihn Leute, die er nicht kannte. Auch der Pförtner beim Parkplatz kam ihm fremd vor, er winkte freundlich, aber Madaira war sich sicher, daß er nicht gemeint war.
    Er rannte die Zufahrtsstraße entlang bis zur Hauptstraße und weiter in Richtung Innenstadt, vorbei an Trambahnhaltestellen und Taxiständen. Er lief so lange, bis er keine Luft mehr bekam und ein Husten aus ihm

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