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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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wach?«
    »Was?« sagte sie aggressiv.
    »Waren Sie und Ihr Mann mit dem Toten befreundet? Und wenn ja, warum verschweigen Sie mir seinen Namen? Warum schweigen Sie? Woher nehmen Sie die Erlaubnis zu schweigen? Warum beleidigen Sie den Toten durch Ihr Schweigen?«
    Auf ihrer bleichen Stirn breiteten sich dunkelrote Flecken aus, ihre rosa Wangen begannen zu glühen. Ihre rechte Hand schnellte in die Höhe, fegte mehrmals hintereinander die Haare beiseite und landete, zur Faust geballt, wieder auf dem Laken. Ihre linke Hand zitterte. Die Bettdecke rutschte ein Stück nach unten, und zum Vorschein kam ein kleiner gelber Stofflöwe, der offensichtlich die ganze Zeit auf ihrer Brust gelegen hatte.
    »Wie sprechen Sie denn mit mir?« sagte sie tonlos.
    Fischer stellte sich ans Fußende des Bettes, damit sie sich nicht länger zu ihm herumdrehen mußte. »Beantworten Sie meine Fragen, Frau Soltersbusch, eine nach der anderen.«
    Vielleicht, um ihre zitternde Hand zu beruhigen, schob sie den Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger und preßte die Hand auf die Decke.
    »Ich … Ich kenn den Mann nicht, der …«
    »Warum beleidigen Sie ihn dann?«
    »Bitte?« Hinter dem Vorhang ihrer Haare funkelte das Blau ihrer Augen. »Was haben Sie denn dauernd … Bitte? Ich dulde nicht … Ich will … Rufen Sie meinen Mann.«
    »Nein«, sagte Fischer.
    »Dr. Breuer hat mir Bettruhe verordnet, ich bin nicht verpflichtet, mit Ihnen zu sprechen, jedenfalls nicht im Moment.«
    »Doch«, sagte Fischer.
    In der Gegenwart von Zeugen, Verdächtigen oder Tätern achtete er besonders auf deren Hände, sie erzählten Geschichten, die den Personen oft entglitten oder die sie nicht einmal bemerkten. Wenn er während einer Befragung die Gesten mit den Blicken verglich, stellte er häufig fest – oder bildete es sich ein –, daß sein Gegenüber aus einer sich verändernden Zahl von Widersprüchen bestand, von denen jede ein neues Fenster zur Wahrheit hin öffnen könnte, sofern er sich nicht verschaute.
    »Ich will Ihren Vorgesetzten sprechen«, sagte Anita Soltersbusch.
    »Ich dachte, Sie müssen das Bett hüten.«
    »Sie terrorisieren mich, und Sie …«
    Fischer beugte sich ein wenig nach vorn. Anita Soltersbusch zuckte zusammen. »Der Tote liegt immer noch in Ihrem Müllhaus. Kann es sein, daß Ihr Mann Sie nicht in sein Bündnis aufgenommen hat, weil Sie kein achtsamer Mitmensch sind? Weil Sie über die Mitmenschen hinwegsehen? Weil Sie am liebsten mit einem Plüschtier im Bett liegen und nichts wissen wollen?«
    »Sie unverschämter Kerl«, rief sie. »Was mischen Sie sich in mein Leben ein? Verschwinden Sie aus meinem Schlafzimmer.«
    »Nehmen Sie Ihr Leben nicht allzu persönlich, Frau Soltersbusch.«
    Gewöhnlich benutzte Fischer diesen Satz in Gegenwart von Verbrechern, die sich mit ausschweifenden Geständnissen an den Exkrementen ihrer Kindheit weideten und ihr Verhalten als logische Folge früherer Verrohungen darstellten. Dann schnitt er ihnen das Wort ab und ließ sie in ihrer selbstgezimmerten Latrine allein. Mit solchen Bekenntnissen, erklärte er verblüfften Kollegen, könnten Anwälte, Richter oder Psychologen ihre Strategien und Urteile untermauern, er dagegen benötige als Sachbearbeiter in der Mordkommission prozeßverwertbare Beweise und lückenlose Handlungsabläufe, alles andere sei schlimmstenfalls doppelte Opferschändung. »Dafür, daß du mal Mönch warst«, hatte seine junge Kollegin Liz Sinkel einmal gesagt, »trittst du oft ganz schön hartherzig auf.«
    Darauf hatte er erwidert: »Ich bin nicht hartherzig, aber Umarmungen sind für Liebende, nicht für Kriminalisten.«
     
    Anita Soltersbusch umklammerte den gelben Stofflöwen. Fischers Satz schien in ihr hin und her zu schlagen wie ein Pendel, ihr Kopf hörte nicht auf zu zucken.
    »Was haben Sie in der halben Stunde in der Wohnung getan?« fragte Fischer ruhig.
    »Gar nichts.« Sie zog die Decke wieder bis zum Kinn und vergrub die Hände darunter. »Ich hab bloß dagesessen in der Küche. Mein Mann war auch da. Ich hab zu ihm gesagt, ich hätt einen Toten gesehen, da hat er gelacht. Er denkt, wenn hier im Viertel einer einen Toten sieht, dann er, weil er sieht alles, überall. Ich hab dagesessen und dauernd das Gesicht von dem Mann vor Augen gehabt. Wie der so dalag, eingequetscht zwischen den blauen Säcken und den Kartons und Kisten. Die Leute schmeißen alles in eine Tonne, Mülltrennung gibt’s hier nicht. Ich hab ja nur das Gesicht gesehen, den Kopf mit

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