Hinter blinden Fenstern
weg.«
»Gutes Auge, P-F«, sagte Schell und spulte im Schnelldurchlauf vor. »Wir können beweisen, daß Gregorian in der Nähe war, zu der Zeit, als Fehring erstochen wurde. Die Tat ist nicht auf Band.«
Wie zum Hohn für die Kriminalisten hatte eine der zwölf Kameras den Moment eingefangen, als ein kleines Mädchen sich mit seiner Mutter über den scheinbar betrunkenen, bewegungslos im Gras liegenden Mann beugt. Andere Besucher kommen hinzu, die Mutter fuchtelt aufgeregt mit der Hand, kurz darauf tauchen vier unifomierte Polizisten auf, einer von ihnen telefoniert, zwei andere drängen die Menge beiseite.
»Solange wir kein Motiv finden«, sagte Weningstedt, »nutzen uns die Bilder nichts.«
»Warum?« sagte Liz. »Mit den Bildern können wir Clarissa Weberknecht endgültig festnageln. Als kaltschnäuzige Lügnerin.«
»Diese Frau«, sagte er. »Was bezweckt die, P-F?«
Fischer entfernte sich von der Gruppe. »Wir wissen immer noch zu wenig über sie. Sie führt ein kontrolliertes Leben. Sie läuft nicht davon. Zuerst möchte ich mehr über Gregorian erfahren, dann sehen wir, was die Spurensuche in der Wohnung ergeben hat, und dann laden wir Frau Weberknecht vor. Das Foto von Gregorian erscheint in den Sonntags- und in den Montagszeitungen, also wird sich spätestens übermorgen ein neues Fenster für uns öffnen.«
»Und wenn alle Fenster offen sind, ist Weihnachten«, sagte Schell mürrisch, die Hand immer noch auf dem Mousepad, zum Bildschirm hin gebeugt.
»Wo bleiben die Bilder aus Milbertshofen?« fragte Liz.
Schell stieß sich vom Tisch ab und rollte mit dem Stuhl rückwärts, auf die Wand zu. »Kein Bild vom Tatort, Kollegin, kein Bild vom Täter, nicht mal ein Bild von einem Falschparker. Die Kollegen suchen weiter, aber die Chancen stehen schlecht. Dein allmächtiges Auge ist blind.«
»Ist es nicht.« Liz zeigte auf den Computer. »Vielleicht bist du blind. Dank der Aufnahmen sind wir gerade einen riesigen Schritt vorangekommen. Obwohl es am Anfang überhaupt nicht danach ausgesehen hat. Und wir werden auch in Milbertshofen was finden, das geht nämlich gar nicht anders. Kollege.«
Ohne sie zu beachten, stand Schell auf und ging zur Tür, vor der Fischer sich noch einmal umgedreht hatte.
»Mich beschäftigt was ganz anderes«, sagte Schell. Er eilte an Fischer vorbei zu einem der Büros auf der anderen Seite des Treppenhauses.
»Was denn?« rief Liz ihm hinterher, doch er war schon weg.
»Abgesehen von den Obdachlosen und den beiden Exfrauen …« Fischer hob beschwichtigend die Hand, weil Liz schon eine Beschwerde über Schells überhasteten Abgang ins Gesicht geschrieben stand. »… Wir kennen nur zwei Personen, die in jüngster Zeit etwas mit Josef Nest zu tun hatten. Das Ehepaar Soltersbusch. Die Frau hatte ein Verhältnis mit ihm, wovon ihr Mann nichts weiß. Das ist lange her, aber manche Geschichten hören nie ganz auf. Sie sollen beide herkommen, und ihr redet mit ihnen, Micha und du, mit jedem einzeln, im V-1, bei laufender Kamera. Und das teilt ihr den beiden auch mit. Sie sind Hauptzeugen in einem Mordfall, besonders die Frau. Und der Mann weiß möglicherweise etwas über Gregorian und Clarissa Weberknecht. Das Ehepaar geht hier nicht eher raus, bis sie für uns ein neues Fenster geöffnet haben.«
Er wandte sich an Weningstedt. »Wegen der Pressekonferenz um drei sprechen wir noch. Und du, Esther, rufst die Mädchen an, die im Club Dinah arbeiten.«
»Hab ich doch schon getan.«
»Wann?«
»Gleich als du es mir aufgetragen hast«, sagte Esther Barbarov. »Heut früh kurz nach sieben.«
»Ehrlich?«
»Ich schwöre es bei deinem Gott.«
»Bist du sicher, daß er mir gehört?« sagte Fischer und strich sich durch die Haare.
»Ganz sicher. Vielleicht solltest du eine Stunde schlafen, P-F. Deine Augenringe hängen dir schon bis zum Kinn.«
»Wenn sie bis zu den Knien reichen, lege ich mich eine halbe Stunde hin«, sagte er. »Versprochen.«
Als Polonius Fischer in sein Büro kam, telefonierte Gabler mit einem ehemaligen Angestellten in der Werkstatt von Josef Nest. Schell tigerte vor der Wand auf und ab und begann sofort zu sprechen.
»Wir sollten den kompletten Block abriegeln. Die halten da alle zusammen, wie bei der Mafia. Zwei Tote, ein verschwundener Mann und wer weiß, was da noch geschieht, wovon wir keine Ahnung haben …«
»Micha …«
»Etwas leiser, bitte«, sagte Gabler mit dem Hörer am Ohr.
Schell winkte ab. »Und jetzt stell dir folgendes vor
Weitere Kostenlose Bücher