Hinter blinden Fenstern
wie vom Erdboden verschluckt. Als wäre niemand, kein Mann, kein Mensch, in der Lage, auch nur eine halbwegs brauchbare Beschreibung zu liefern. Gerade so, als wüßte niemand, um wen es sich bei dem Gesuchten eigentlich handelte.
Unabhängig von den üblichen und nachvollziehbaren Schwierigkeiten, die jemand damit hatte, sich in Gegenwart eines drängenden Polizisten an spezielle äußere Merkmale eines Angehörigen erinnern zu müssen, erstaunte und erschütterte Fischer oft die Leere der Welt, in die er geraten war.
In dieser Leere fehlte einer, aber der – das mußte Fischer nach kurzer Zeit erkennen – hatte auch vor seinem Verschwinden nicht dazugehört. Er war bloß dagewesen, leibhaftig unsichtbar unter Blinden. Einer mit Namen, Adresse und Beruf. Servus, sagten die anderen und hatten ihn vergessen. Seine Frau versteckte ihre ratlosen Blicke hinter einem Vorhang aus Tränen, sehr geschickt, wie Fischer fand.
Und der Rest der Menschheit in dieser Welt aus Leere stammelte Entsetzen und tauschte Spekulationen wie Kinder ihre Spielkarten auf dem Pausenhof.
Manche Menschen, wußte Fischer, wurden von ihren Hunden betrauert und von ihren Freunden nur beweint.
Manche Menschen winkten, aber niemand sah hin, sie streckten ihre Arme aus, aber die anderen waren in Selbstumarmungen verstrickt.
Sie riefen, aber ihre Stimmen reichten nicht aus.
Sie traten an die Rampe, aber die Scheinwerfer waren kaputt.
Und wenn sie Opfer eines Verbrechens wurden, bellte noch eine Weile ihr Schatten in der Nacht, und jemand rief: Ruhe! Dann wurde es ruhig, und der Morgen brach ungeniert an.
Bis dreizehn Uhr an diesem Samstag hatte Fischer mit acht Personen gesprochen. Übereinstimmend erklärten sie, Bertold Gregorian sei ein zurückhaltender, unauffälliger Mann, zuverlässig und vertrauenerweckend.
»Welches Vertrauen hat er erweckt?« wollte der Kommissar von Alfons Grandauer, dem Geschäftsführer der Galeria Kaufhof in der Fußgängerzone, wissen.
»Wie meinen Sie das?«
Zwei- bis dreimal in der Woche war Gregorian im Kaufhaus als Detektiv tätig. Er erhielt eine Pauschale von dreihundert Euro am Tag plus einer Prämie von fünfzig Euro, wenn er einen Dieb stellte, was häufig passierte, vor allem an Samstagen.
»Auf welche Weise wirkte er vertrauenerweckend?« wiederholte Fischer geduldig.
Grandauer hüstelte am Telefon. »Ich mein das nicht so wörtlich, entschuldigen Sie, wir haben heut Hochbetrieb, zwei wichtige Mitarbeiterinnen sind krank, und der Kollege von Herrn Gregorian ist auch nicht da. Ich beschäftige ausschließlich ältere Detektive, Männer mit Erfahrung, die nicht auffallen und Zeit haben und auf das Geld wirklich angewiesen sind. Jeder muß schauen, wie er mit seiner Rente die Kurve kriegt, und wir leisten da einen kleinen bescheidenen Beitrag. Herr Gregorian ist seit zwanzig Jahren bei uns, in diversen Filialen. Er hat einen guten Blick, er ist freundlich zu den Leuten, wenn er sie zur Rede stellt, nie aggressiv und nie vor vielen Zuschauern. Solche Detektive hatten wir leider auch schon, man kann den Mitarbeitern nicht unters Hemd sehen, sag ich immer, man muß ihnen vertrauen, daß sie sich gewaschen haben, Sie verstehen, was ich sagen will. Mit Herrn Gregorian lief alles immer bestens. Manche Diebe haben sich sogar bei ihm entschuldigt, weil er so ruhig und nett mit ihnen umgegangen ist. Ich hab immer ein gutes Gefühl, wenn er im Haus ist, und meine Kolleginnen und Kollegen auch. Er ist verschwunden? Sehr seltsam. Letzten Samstag, wie gesagt, hatte er frei, er war krank, ich hab selbst nicht mit ihm gesprochen, ich glaube, die Frau Lechner aus der Personalabteilung. Sie ist heut nicht da, aber ich kann sie am Montag fragen, kein Thema.«
»Was wissen Sie sonst über ihn?« fragte Fischer.
»Sonst?« Grandauer geriet ins Stocken. »Sonst … Sie meinen, sonst privat oder so. Ja, nichts. Privat haben wir nie ein Wort gewechselt. Herr Gregorian macht mir nicht den Eindruck, als lege er viel Wert auf Kommunikation. Wenn’s nicht sein muß, wie gesagt. Er spricht ja auch gegenüber den Kunden nur das Nötigste. Nein, sonst kann ich Ihnen da nicht weiterhelfen. Haben Sie schon mit seiner Frau gesprochen?«
»Er ist nicht verheiratet.«
»Sind Sie sicher?« Grandauer stieß ein Lachen aus. »War nur ein Scherz. Sie wissen natürlich mehr als ich. Ich hab nur gedacht, daß er verheiratet wäre, weil er, glaub ich, mal eine Frau erwähnt hat, und ich hab gedacht, er ist mit ihr verheiratet.
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