Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
getroffen. Das war kein Zufall, das war Fügung. Sie glauben das nicht, denn Sie sind Polizist und Beamter und müssen immer alles beweisen und logisch zusammenbauen, damit Ihr Beruf einen Sinn ergibt. Aber wir haben uns entschieden, das verkehrte Leben ein für allemal loszuwerden, bei uns passieren andere Dinge, größere Dinge, das passiert alles in einem magischen Zusammenhang, und wir brauchen gar nichts weiter zu tun, als uns zu trauen. Trauen müssen wir uns, sonst wären wir ja dieselben Feiglinge wie früher. So funktioniert das, Herr Kommissar. Möchten Sie wirklich keine Chips?«
    Sie griff in die Tüte. Dann zog sie die Hand leer wieder heraus. »Ich warte, bis Sie weg sind. Ihre Kollegen sind bestimmt schon voll ungeduldig.«
    »Haben Sie Ihre Eltern nicht vermißt?« fragte Fischer. Die Antwort wußte er im voraus.
    »Nein«, sagte sie.
    »Und Ihre Freundinnen, Ihre Freunde? Ellen zum Beispiel.«
    »Die kennen Sie? Ich habe niemanden vermißt.«
    »Ellen hat dich schon vermißt.«
    Er hatte sie aus Versehen geduzt, aber es schien ihr egal zu sein.
    »Weil sie mich für jemand anderen hält.« Linda legte den Kopf schief und sah Fischer von unten herauf an.
    »Für wen halten Sie Ihre Freunde?« fragte er.
    »Für Linda, die Fügsame, Linda, die Gelehrsame, für Linda, die Lächelnde, Linda, die Versteherin, Linda, die Respektvolle, Linda, die Zuvorkommende, Linda, die Höfliche, Linda, die Rücksichtsvolle, Linda, die Sachliche, Linda, die Positive, Linda, die Konstruktive, Linda, die Pünktliche, Linda, die Zuverlässige, Linda, die Saubere, Linda, die Soziale, Linda, die Sportliche, Linda, die Suppenkasperin. Jetzt wissen Sie, für wen mich die anderen halten.«
    »Du hast Linda, die Verlorene, vergessen«, sagte Fischer.
    »Ich bin nicht verloren.«
    »Du bist das verlorenste Mädchen, dem ich jemals begegnet bin.«
    »Was wissen Sie denn vom Verlorensein? Sie sind Polizist.«
    »Du hast sogar deinen Schatten verloren, Linda, du hast alles verloren, was du je hattest. Und deswegen willst du hierbleiben, hier findet dich niemand, hier bist du vollkommen für dich, hier kannst du dich in deiner Verlorenheit baden. Und hier brauchst du nicht einmal einen Schatten, weil in dieser Wohnung nie die Sonne scheint. Und wenn du nach draußen gehst, ist es Nacht. Aber jetzt bin ich da. Und sehe ich aus wie jemand, der Linda, die Verlorene, am Wegrand liegen läßt? Glaubst du, ich laß dich hier liegen? Glaubst du, ich sorge mich nicht um dich?«
    »Warum denn? Wieso denn? Sie sind Polizist.«
    »Ich bin Polizist und noch hundert andere. Ich bin Polonius, der Merkwürdige, Polonius, der Beter, ich bin Polonius, der Flucher, ich bin Polonius, der Geher, Polonius, der Sucher, Polonius, der Ungeduldige, ich bin Polonius, der Geduldige, Polonius, der Schweigenhasser. Ich bin Polonius, der Lindafinder.«
    »Der Lindafinder«, sagte sie leise. Unter der Bettdecke zitterten ihre Beine, sie umklammerte sie, so fest sie konnte, aber sie zitterten noch stärker.
    »Und wenn ich dir verraten würde, wie ich dich gefunden habe, würdest du denken, ich rede wirr. Denn vielleicht habe ich dich gefunden, weil da eine Fügung war, die ich nicht verstehe. Aber du hast mir erklärt, daß man so etwas nicht verstehen muß, und darum bin ich eigentlich beruhigt. Merkwürdig ist es trotzdem.«
    »Wie haben Sie mich denn gefunden?« Ihre Stimme verließ kaum ihren Mund .
    »Das hängt mit dem Verbrechen zusammen, das unten im Hof geschehen ist«, sagte Fischer und wartete, bis sie ihn ansah. »Und wenn das Verbrechen nicht hier geschehen wäre, sondern anderswo, dann hätte ich dich vielleicht immer noch nicht gefunden. Über all das will ich bei Gelegenheit nachdenken. Was werden deine Eltern sagen?«
    Linda streckte die Beine aus, schaute hin, zog sie wieder an den Körper und streckte sie noch einmal. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und atmete mit halboffenem Mund.
    »Meine Eltern, die werden sagen: Da bist du ja wieder, als würden sie sich freuen, und mein Vater wird hundert Fotos von mir knipsen und sie an die Zeitungen verkaufen. Und Sie wird er auch knipsen, wenn Sie Pech haben, weil Sie ja mein Retter sind.«
    »Ich laß mich nicht knipsen«, sagte Fischer.
    »Sie kann man sowieso nur hochkant abdrucken, so groß wie Sie sind.« Sie lächelte nicht, sie schaute ihn nur an, aus hellen, unruhigen, fiebrigen Augen. Nach einem Schweigen, in dem sie, wie Fischer glaubte, nach Atem rang, sagte sie: »Da in der Nacht,

Weitere Kostenlose Bücher